Die Position des Moskauer Patriarchats zum Problem des Primats in der Gesamtkirche

28. Dezember 2013

Das Problem des Primats in der Gesamtkirche wurde während der Arbeit der Gemischten Internationalen Kommission für den theologischen Dialog zwischen der Orthodoxen Kirche und Römisch-Katholischen Kirche wiederholt aufgeworfen. Am 27. März 2007 wies der Heilige Synod der Russischen Orthodoxen Kirche die Theologische Synodal-Kommission an, das Problem zu studieren und eine offizielle Position des Moskauer Patriarchats zum Problem zu entwerfen. Inzwischen nahm die Gemischte Kommission, bei ihrer Tagung am 13. Oktober 2007 in Ravenna, in Abwesenheit einer Delegation der Russischen Kirche und ohne Rücksicht auf ihre Stellungnahme, ein Dokument an hinsichtlich der ekklesiologischen und kanonischen Konsequenzen aus der sakramentalen Natur der Kirche. Nachdem sie das Dokument von Ravenna studiert hatte, widersprach ihm die Russisch-Orthodoxe Kirche in jenem Teil, welcher sich auf Synodalität (Sobornost) und Primat auf der Ebene der Gesamtkirche bezieht. Da das Ravenna-Dokument unterscheidet zwischen drei Ebenen der Kirchenverwaltung, nämlich der lokalen, regionalen und universalen, behandelt die folgende Position, welche das Moskauer Patriarchat zum Problem des Primats in der Gesamtkirche einnimmt, das Problem gleichfalls auf drei Ebenen.

(Bild: Patriarch Kyrill und Heiliger Synod)

1. In der Heiligen Kirche Christi gebührt das Primat ihrem Haupt, unserem Herrn und Erlöser Jesus Christus, dem Sohn Gottes und dem Menschensohn. Nach dem Hl. Paulus ist der Herr Jesus Christus das Haupt des Leibes, der Kirche: „Er, der der Anfang ist, der Erstgeborene von den Toten, auf dass Er in allen Dingen der Erste sei(Kol. 1, 18)1.

Nach der apostolischen Lehre: „der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit… hat (er) ihn von den Toten auferweckt und gesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft, und was sonst genannt mag werden, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der künftigen; und hat alle Dinge unter seine Füße getan, und hat ihn gesetzt zum Haupt der Gemeinde über alles, welches da ist sein Leib“ (Eph. 1, 17-23).

Die Kirche, die auf Erden existiert, stellt nicht nur eine Gemeinschaft derer dar, die an Christus glauben, sondern auch einen göttlich-menschlichen Organismus: „Ihr seid aber der Leib Christi und Glieder, ein jeglicher nach seinem Teil“ (1. Kor. 12, 27).

Entsprechend sind die verschiedenen Formen des Primats in der Kirche auf ihrer historischen Reise in dieser Welt zweitrangig gegenüber dem ewigen Primat Christi als Haupt der Kirche, auf dass „alles durch ihn versöhnt würde mit Gott, es sei auf Erden oder im Himmel“ (Kol. 1, 20). Primat in der Kirche sollte an erster Stelle ein Dienst der Versöhnung sein, mit dem Ziel, Harmonie zu stiften, gemäß dem Apostel, der ruft, „zu halten die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens“ (Eph. 4, 3).

2. Im Leben der Kirche Christi in dieser Epoche ist das Primat zusammen mit Synodalität (Sobornost) eines der Grundprinzipien ihrer Ordnung. Auf den unterschiedlichen Ebenen des kirchlichen Lebens hat das historisch entstandene Primat verschiedenartige Natur und verschiedenartige Quellen. Diese Ebenen sind 1) die Diözese (Eparchie), 2) die autokephale Orts-/Landeskirche, und 3) die universale Kirche.

(1) Auf der Ebene der Diözese gehört das Primat dem Bischof. Das Primat des Bischofs in seiner Diözese (Eparchie) hat solide theologische und kanonische Grundlagen, welche zurückweisen auf die frühe Christliche Kirche. Nach der Lehre des heiligen Paulus hat „euch der Heilige Geist gesetzt… zu Bischöfen, zu weiden die Gemeinde Gottes, welche er durch sein eigen Blut erworben hat“ (Apg. 20, 28). Die Quelle des Primats des Bischofs in seiner Diözese (Eparchie) ist die apostolische Sukzession, übermittelt durch bischöfliche Weihe2.

Der Dienst des Bischofs ist eine wesentliche Grundlage der Kirche: „Der Bischof gehört zur Kirche wie die Kirche zum Bischof, und wenn jemand nicht mit dem Bischof ist, gehört er nicht zur Kirche“ (Hl. Cyprian von Karthago3). Der Hl. Ignatios der Gottesträger vergleicht das Primat des Bischofs in seiner Diözese mit der Oberhoheit (dem Supremat) Gottes: „Lerne alle Dinge in göttlicher Harmonie zu tun, während dein Bischof anstelle von Gott den Vorsitz führt, und deine Priester anstelle der Versammlung der Apostel vorstehen, zusammen mit deinen Diakonen, die mir sehr teuer und mit dem Dienst Jesu Christi betraut sind, Der mit dem Vater vor Anfang der Zeit war, und am Ende offenbart ward“ (Brief an die Magnesier, 6).

Im Bereich der Kirche hat der Bischof alle Vollmacht, die sakramentale, administrative und lehramtliche. Der hl. Ignatius der Gottesträger lehrt uns: „Gestatte niemandem, außer dem Bischof, Dinge zu tun, welche der Kirche gebühren. Betrachte einzig jene Eucharistie als gültig, welche im Beisein des Bischofs gefeiert wird, oder von dem, dem er sie anvertraut hat. Es ist nicht erlaubt, weder zu taufen, noch ein Liebesmahl ohne Einverständnis des Bischofs zu halten; aber was auch immer er gut heißt, ist auch Gott wohlgefällig, auf dass, was immer geschieht, sicher und gewiss sein möge“ (Brief an die Gemeinde zu Smyrna, 7).

Die sakramentale Vollmacht des Bischofs kommt ganz und gar in der Eucharistie zum Ausdruck. Indem er sie feiert, stellt der Bischof symbolisch Christus dar, der einerseits die Kirche der Gläubigen vor das Angesicht Gottes des Vaters stellt, und andererseits den Gläubigen Gottes Segen erteilt, und sie nährt mit der wahren geistlichen Speise und dem Trank des eucharistischen Sakraments. Als Haupt seiner Diözese leitet der Bischof die Gottesdienste seiner Gemeinden, weiht den Klerus und weist ihnen Kirchengemeinden zu, gibt ihnen Vollmacht, die Eucharistie und andere Mysterien und religiöse Zeremonien zu zelebrieren.

Die administrative Vollmacht des Bischofs kommt darin zum Ausdruck, dass der Klerus, die Mönche und Laien seiner Diözese, wie auch die Gemeinden und Klöster, außer den stauropegialen, und verschiedene Diözesan-Einrichtungen (erzieherische, diakonische usw.), im Gehorsam stehen. Der Bischof spricht Recht in Fällen kirchlicher Vergehen. Die Apostolischen Kanonischen Vorschriften lauten: „Gestatte Priestern oder Diakonen nicht, irgendetwas zu tun, ohne Segen des Bischofs; denn er ist es, der mit dem Volk des Herrn betraut ist, und von dem Rechenschaft für ihre Seelen verlangt wird“ (Kanon 39).

2) Auf der Ebene der „autokephalen Orts-/Landeskirche“ gehört das Primat dem Bischof, der als Vorsteher (Primas) der Landeskirche von einem Konzil ihrer Bischöfe gewählt wurde4. Demgemäß ist die Quelle des Primats auf der Ebene der autokephalen Kirche die Wahl des vorrangigen Bischofs durch ein Konzil (oder eine Synode), welche die Fülle der kirchlichen Vollmacht genießt. Dieses Primat beruht auf soliden kanonischen Grundlagen, welche zurückweisen auf die Epoche der Ökumenischen Konzile.

Die Vollmacht des Vorstehers (Primas) einer autokephalen Orts-/ Landeskirche unterscheidet sich von der eines Bischofs auf seinem kirchlichen Gebiet. Es ist die Vollmacht des Ersten unter gleichen Bischöfen. Er erfüllt den Dienst des Primats in Übereinstimmung mit der gesamtkirchlichen kanonischen Tradition, wie sie im Apostolischen Kanon 34 Ausdruck findet: „Es ist Pflicht der Bischöfe jeder Nation, den Einen unter ihnen zu kennen, der der Erste oder Leiter ist, und ihn als ihr Haupt anzuerkennen, und zu unterlassen, irgendetwas Überflüssiges zu tun ohne seinen Rat oder Beifall: stattdessen aber sollte jeder von ihnen nur das tun, was in seiner eigenen Gemeinde und in den ihm unterstellten Gebieten erforderlich ist. Aber lasst auch nicht einen solchen etwas tun ohne den Rat und die Zustimmung und die Billigung aller. Denn so wird es dort Eintracht geben, und Gott wird verherrlicht durch den Herrn im Heiligen Geist, den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist“.

Die Befugnisse des Vorstehers (Primas) einer autokephalen Orts-/Landeskirche werden von einem Konzil (einer Synode) umgrenzt und in einem Statut festgelegt. Der Vorsteher (Primas) einer autokephalen Orts-/Landeskirche fungiert als Vorsitzender ihres Konzils (oder ihrer Synode). Somit hat der Vorsteher (Primas) keine Ein-Mann-Gewalt in einer autokephalen Orts-/Landeskirche, sondern leitet sie in beratender Versammlung, das heißt, in Zusammenarbeit mit anderen Bischöfen5.

(3) Auf der Ebene der universalen Kirche (Gesamtkirche) als einer Gemeinschaft autokephaler Orts-/Landeskirchen, vereint zu einer Familie durch ein gemeinsames Glaubensbekenntnis und in Kommunionsgemeinschaft miteinander verbunden, wird das Primat geregelt in Übereinstimmung mit der Tradition der heiligen Diptychen, und stellt ein Ehrenprimat dar. Diese Tradition kann zurückgeführt werden auf die kanonischen Vorschriften der Ökumenischen Konzile (Kanon 3 des Zweiten Ökumenischen Konzils, Kanon 28 des Vierten Ökumenischen Konzils und Kanon 36 des Sechsten Ökumenischen Konzils) und ist im Laufe der gesamten Kirchengeschichte stets bekräftigt worden durch die Handlungsweise der Konzile einzelner Orts-/Landeskirchen und durch die Praxis liturgischer Kommemoration, bei welcher der Vorsteher (Primas) jeder Autokephalen Kirche die Namen jener der anderen Orts-/ Landeskirchen nennt, nach der Ordnung, wie sie von den heiligen Diptychen vorgeschrieben ist.

Die Ordnung der Diptychen wurde im Lauf der Geschichte verändert. Im ersten Jahrtausend der Kirchengeschichte pflegte das Ehrenprimat dem Sitz von Rom6 zu gebühren. Nachdem die Eucharistische Gemeinschaft zwischen Rom und Konstantinopel in der Mitte des 11. Jahrhunderts zerbrach, ging das Primat in der Orthodoxen Kirche auf den nächsten Sitz in der Ordnung der Diptychen, nämlich auf jenen von Konstantinopel über. Seit jener Zeit bis in die Gegenwart gebührte das Ehrenprimat in der Orthodoxen Kirche auf der universalen Ebene dem Patriarchen von Konstantinopel als dem Ersten unter gleichen Patriarchen der orthodoxen Orts-/Landeskirchen.

Die Quelle des Primats der Ehre nach auf der Ebene der Universalkirche (Gesamtkirche) entspringt der kanonischen Tradition der Kirche, festgelegt in den heiligen Diptychen und anerkannt von allen autokephalen Orts-/Landeskirchen. Die kanonischen Vorschriften, auf welchen die heiligen Diptychen beruhen, statten den Ersten (Primus, der der Bischof von Rom zur Zeit der Ökumenischen Konzile zu sein pflegte) mit keinerlei Vollmachten im gesamtkirchlichen Maßstab7aus.

Die ekklesiologischen Verzerrungen, welche dem Ersten (Primus) auf der universalen Ebene (Gesamtebene) Regierungsfunktionen zuschreiben, welche Ansprüche des Primats auf anderen Ebenen der Kirchenordnung einschließen, werden in der polemischen Literatur des zweiten Jahrtausends als „Papismus“ bezeichnet.

3. Aufgrund der Tatsache, dass die Natur des Primats, welche auf verschiedenen Ebenen der Kirchenordnung existiert (der Diözese, des Landes, der Gesamtkirche), sich unterscheidet, sind die Funktionen des Ersten (Primus) auf verschiedenen Ebenen nicht identisch, und können nicht von einer Ebene auf eine andere übertragen werden.

Die Funktionen der Ausübung des Primats von der Ebene einer Eparchie auf die universale Ebene zu übertragen, hieße eine spezielle Form des Ausübung anzuerkennen, vorrangig, dass ein „universaler Hierarch“ die gesamte Lehr- und Weisungsbefugnis in der Universalkirche (Gesamtkirche) besäße. Wenn die sakramentale Gleichheit der Bischöfe eliminiert wird, führt solch eine Anerkennung zur Entstehung der Jurisdiktion eines universalen Ersthierarchen, der weder in den heiligen Kanones noch in der patristischen Tradition erwähnt wird, was einmündet in die Beschränkung oder sogar Beseitigung der Autokephalie der Landeskirchen.

Derart würde die Ausdehnung des Primats, welches dem Vorsitz (Primas) einer autokephalen Landeskirche (nach dem Apostolischen Kanon 34) inhärent ist, auf die universale Ebene8 dem Ersten (Primus) der Gesamtkirche spezielle Vollmachten gewähren, ohne Rücksicht darauf, ob die Orts-/Landeskirchen dem zustimmen oder nicht. Solch eine Übertragung im Verständnis der Natur des Primats von der Orts-/Landes- auf die Gesamtebene würde entsprechend erfordern, dass auch das Wahlverfahren für den Ersten (Primus) auf die Gesamtebene zu verschieben wäre, was wiederum in gleichem Maß vorrangig das Recht der Orts-/Landeskirche verletzen würde, ihren eigenen Vorsteher (Primas) zu wählen.

4. Der Herr und Heiland Jesus Christus warnte seine Jünger vor der Liebe zu den Mächtigen (vgl. Mth. 20, 25-28). Die Kirche hat immer verdrehten Vorstellungen des Primats widerstanden. welche sich in das Kirchenleben seit alten Zeiten einzuschleichen9begannen. In den Entscheidungen der Konzile und in den Werken der heiligen Väter, wurden solche Missbräuche der Macht verdammt.10

Die Bischöfe von Rom, die aus der Sicht der östlichen Kirchen das Ehrenprimat in der Gesamtkirche (universalen Kirche) genießen, sind stets die Patriarchen des Westens gewesen, d.h. die Vorsteher (Ersten) der westlichen Orts-/Landeskirche. Doch schon im ersten Jahrtausend der Kirchengeschichte begann sich im Westen eine Doktrin herauszubilden über eine besondere lehramtliche und administrative Befugnis göttlichen Ursprungs des Bischofs von Rom, welche sich auf die gesamte Kirche erstrecke.

Die Orthodoxe Kirche wies die Doktrin der Römischen Kirche zurück, über das päpstliche Primat und den göttlichen Ursprung der Vollmacht des ersten Bischofs in der Universalkirche. Die orthodoxen Theologen haben immer darauf bestanden, dass die Kirche von Rom eine der autokephalen Orts-/Landeskirchen ist, ohne irgendein Recht, ihre Jurisdiktion auf das Gebiet anderer Ortskirchen auszudehnen. Sie glaubten auch, dass das Primat der Ehre, welches sie den Bischöfen von Rom zugestanden, nicht von Gott, sondern durch Menschen eingesetzt wurde11.

Während des zweiten Jahrtausends bis heute hat die Orthodoxe Kirche die Verwaltungsstruktur bewahrt, die charakteristisch für die Östliche Kirche des ersten Jahrtausends war. Innerhalb dieser Struktur ist jede autokephale Orts-/ Landeskirche, die sich in dogmatischer, kanonischer und eucharistischer Einheit mit anderen Orts-/Landeskirchen befindet, unabhängig in ihrer Leitung. In der Orthodoxen Kirche gab es kein und existierte niemals ein einziges Verwaltungszentrum auf der universalen oder Gesamtebene.

Im Westen hat im Gegensatz dazu die Entwicklung einer Doktrin über die besondere Vollmacht des Bischofs von Rom, dass die höchste Vollmacht in der universalen oder Gesamtkirche dem Bischof von Rom gebühre, als dem Nachfolger des heiligen Peter und dem „vicarius“ (Stellvertreter) Christi, zur Herausbildung eines vollkommen unterschiedlichen Modells der Kirchenordnung geführt, mit einem einzigen globalen Zentrum in Rom12

In Übereinstimmung mit den zwei unterschiedlichen Modellen der Kirchenordnung wurden verschiedene Wege vorgestellt, auf welchen Bedingungen für Kanonizität einer Kirchengemeinde sichtbar werden. In der (Römisch-)Katholischen Tradition ist notwendige Bedingung für Kanonizität die Eucharistische Einheit einer besonderen Gemeinde der Kirche mit dem Stuhl von Rom. In der Orthodoxen Tradition gilt die Gemeinde als kanonisch, welche Teil einer autokephalen Orts-/ Landeskirche ist, wodurch sie sich in Eucharistischer Gemeinschaft mit anderen Orts-/Landeskirchen befindet.

Wie bekannt, trafen die Versuche, das westliche Modell der Verwaltungsordnung der Östlichen Kirche aufzubürden, unverändert auf Widerstand im Orthodoxen Osten. Dies spiegelt sich wider in Kirchendokumenten13 und polemischer Literatur, gerichtet gegen das Papsttum, welche einen Teil der Tradition der Orthodoxen Kirche enthält.

5. Das Primat in der Universalen Orthodoxen Kirche, welches seiner wahren Natur nach ein Primat der Ehre darstellt, ist sehr wichtig für das orthodoxe Zeugnis in der modernen Welt.

Der patriarchale Sitz von Konstantinopel genießt das Primat der Ehre auf der Basis der heiligen Diptychen, anerkannt von allen orthodoxen Orts-/Landeskirchen. Der Inhalt dieses Primats wird definiert durch einen Konsens der orthodoxen Orts-/Landeskirchen, der Ausdruck findet insbesondere bei Pan-Orthodoxen Konferenzen zur Vorbereitung eines Heiligen und Großen Konzils der Orthodoxen Kirche14.

Indem er sein Primat in solcher Weise ausübt, kann der Erste (Primas) der Kirche von Konstantinopel Initiativen bieten im allgemein-christlichen Maßstab und die äußere Welt ansprechen im vollen Auftrag der Orthodoxie, vorausgesetzt, dass er von allen Orthodoxen Orts-/Landeskirchen ermächtigt wurde, so zu handeln.

6. Das Primat in der Kirche Christi ist dazu berufen, der geistlichen Einheit ihrer Mitglieder dienen, und ihr Leben in guter Ordnung zu bewahren, „Denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens“ (1. Kor. 14, 33). Der Dienst des Ersten (Primus) in der Kirche, fremd der vergänglichen Liebe zur Macht, hat zum Ziel, dass „der Leib Christi erbaut werden (soll)… lasset uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus, von welchem aus der ganze Leib zusammengefügt ist… dadurch ein jegliches Glied dem andern kräftig Handreichung tut nach seinem Maße und macht, dass der Leib wächst und sich selbst auferbaut in der Liebe“ (Eph. 4, 12-16).

Quelle: DECR

http://www.pravmir.com/position-of-the-moscow-patriarchate-on-the-problem-of-primacy-in-the-universal-church/

(Übersetzt aus dem Englischen von Peter U. Trappe)

1 Die deutschsprachigen Bibelverse werden zitiert aus „Die Bibel – oder die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments nach der Übersetzung Martin Luthers“, Revidierte. Ausgabe, Württembergische Bibelanstalt Stuttgart, 1967

 

2Sie schließt ein die Wahl, die Weihe und die Annahme durch die Kirche…

 

3Ep. 69.8, PL 4,406A (Brief 54 nach russischer Version)

 

4 In der Regel hat der mit dem Vorrang versehene Bischof den Hauptsitz (den Vorrang) inne auf dem kanonischen Territorium seiner Kirche.

 

5 Die autokephale Landeskirche kann komplexe kirchliche Einheiten umfassen. Zum Beispiel gibt es in der Russischen Orthodoxen Kirche autonome und selbstverwaltete Kirchen, metropolitane Regionen, Exarchate und Metropolien.

 

6 Ein Verweis auf das Ehrenprimat des Sitzes von Rom und den zweiten Rang des Sitzes von Konstantinopel erfolgt im Kanon 3 des Zweiten Ökumenischen Konzils: „Der Bischof von Konstantinopel soll jedoch das Ehrenprivileg nach dem Bischof von Rom haben; weil Konstantinopel das ‘Neue Rom’ ist“. Kanon 28 des Vierten Ökumenischen Konzils erklärt diese Regel und zeigt den kanonischen Grund auf für das Primat der Ehre von Rom und Konstantinopel: „Die Väter haben in der Tat die Privilegien richtig zugeschrieben (welche gehören) dem Sitz des uralten Rom, weil es die Kaiserstadt war. Und somit vom gleichen Denken bewegt, haben die hundertundfünfzig von Gott geliebten Bischöfe gleiche Privilegien gewährt dem heiligsten Sitz des Neuen Rom, indem sie auf gerechte Weise erwogen, dass die Stadt, die durch kaiserliche Macht und den Senat geehrt wird und (nach ziviler Ordnung) Privilegien gleich denen von Rom genießt, in den Angelegenheiten der Kirche so erhöht werden sollte wie das Alte Rom, und den zweiten Platz nach ihm einnehmen“.

 

7 Es gibt Kanones, die in der polemischen Literatur verwendet werden, um den jurisdiktionellen Vollmachten jenes ersten Stuhls von Rom eine kanonische Rechtfertigung zu geben. Das sind die Kanones 4 und 5 des Konzils von Sardica (343). Diese Kanones stellen jedoch nicht fest, dass die Rechte des Stuhls von Rom, Appellationen entgegenzunehmen, ausdehnbar sind auf die gesamte universale Kirche. Aus dem kanonischen Codex ist bekannt, dass diese Rechte sogar im Westen nicht unbegrenzt waren. So entgegnete schon das Konzil von Carthago 256, bei dem der hl. Cyprian den Vorsitz hatte, den Ansprüchen von Rom, indem es folgende Meinung über die Beziehungen zwischen Bischöfen zum Ausdruck brachte: „weder erhebt sich irgendeiner von uns zum Bischof der Bischöfe, noch erzwingt jemand durch tyrannische Gewalt bei seinen Kollegen die Notwendigkeit des Gehorsams; da jeder Bischof, nach dem Grad seiner Freiheit und Befugnis, sein eigenes gutes Recht hat auf Jurisdiktion, und nicht von einem anderen mehr beurteilt werden kann, wie er selbst einen anderen beurteilt. Aber lasst uns alle warten auf das Urteil unseres Herrn Jesus Christus, Der der Einzige ist, Der die Macht hat, uns mit der Leitung Seiner Kirche zu betrauen, wie auch unser Verhalten dort zu beurteilen“ (Sententiae episcoporum, PL 3, 1085C; 1053 A-1054A). Das Gleiche wird festgestellt im Brief des Konzils von Afrika an Coelestin, den Papst von Rom (424), welcher in allen maßgeblichen Ausgaben des Codex der Kanones enthalten ist, insbesondere im Buch der Kanones, als einem Kanon des Konzils von Karthago. In diesem Brief weist das Konzil das Recht des Papstes von Rom zurück, Berufung einzulegen gegen Urteile, welche vom Konzil afrikanischer Bischöfe ergangen sind: „wir beschwören euch ernsthaft, in Zukunft nicht bereitwillig Personen, die von hier kommen, eine Anhörung zuzugestehen noch sie auszuwählen, eure Kommunion zu empfangen, jene, die von uns exkommuniziert sind….“. Kanon 118 des Konzils von Karthago verbietet, Appelle an Kirchen jenseits des (Mittel-)Meeres zu richten, was Rom auf jeden Fall ebenso einschloss: „Kleriker, die verurteilt worden sind, wenn sie Anstoß nehmen am Urteil, sollen nicht jenseits des Meeres appellieren, sondern bei benachbarten Bischöfen, und bei ihrem eigenen. Wenn sie denn anders in Afrika exkommnuziert worden sind“.

 

8 Wie bekannt, gibt es keinen einzigen Kanon, welcher eine solche Praxis gestatten würde.

 

9 Schon in apostolischen Zeiten verdammte der hl. Johannes der Theologe in seinem Brief Diotrephes, „der liebte der Erste zu sein“ (3. Joh. 1, 9 ).

 

10 So erkärte das Dritte Ökumenische Konzil, welches das Recht der Kirche von Zypern zu schützen suchte, ihr eigenes Oberhaupt zu haben, in seinem Kanon 8: „die Leiter der heiligen Kirchen von Zypern sollen, ohne Debatte oder Verletzung gemäß den Kanones der gesegneten Väter und nach altem Brauch, das Recht genießen, für sich die Weihe ihrer hervorragenden Bischöfe durchzuführen. Dieselbe Regel soll überall in anderen Diözesen oder Provinzen beobachtet werden, so dass keiner der von Gott geliebten Bischöfe die Kontrolle über irgendeine Provinz übernehmen soll, welche nicht vormals, von Anfang an, seiner Hand oder der seiner Vorgänger unterstand. Aber wenn irgendeiner (eine Provinz) gewaltsam an sich gerissen und unterworfen hat, soll er sie aufgeben; damit nicht die Kanones der Väter übertreten oder die Eitelkeiten weltlicher Ehre unter dem Vorwand heiligen Dienstes eingebracht werden; oder wir, ohne es zu wissen, nach und nach die Freiheit verlieren, welche unser Herr Jesus Christus, der Retter aller Menschen, uns durch sein eigenes Blut gegeben hat“.

 

11 So schrieb im 13. Jahrhundert der hl. Hermann von Konstantinopel: „Es gibt fünf Patriarchate mit gewissen Grenzen für jedes. Jedoch ist in jüngster Zeit ein Schisma unter ihnen aufgekommen, veranlasst von dreister Hand, welche in der Kirche zu herrschen und die Oberhand zu gewinnen sucht. Das Haupt der Kirche ist Christus, und jeder Versuch, Herrschaft zu erlangen, steht im Gegensatz zu Seiner Lehre“ (zit. in Sokolov I.I., Vorlesungen über die Geschichte der griechisch-östlichen Kirche, St. Petersburg, 2005, S. 129)

Im 14. Jahrhundert schrieb Nilos Kabasilas, Erzbischof von Thessaloniki, über das Primat des Bischofs von Rom: „Der Papst verfügt in der Tat über zwei Privilegien: er ist der Bischof von Rom… und er ist der Erste unter den Bischöfen. Von Petrus empfing er das römische Bischofsamt; was das Primat angeht, empfing er dies viel später von den seligen Vätern und den frommen Kaisern, und dies nur darum, damit die kirchlichen Angelegenheiten in vollendete Ordnung kommen (De primatu papae, PG 149, 701 CD)

Seine Heiligkeit, Patriarch Bartholomäos erklärt: „Wir alle, die Orthodoxen… sind überzeugt, dass im ersten Jahrtausend der Existenz der Kirche, in den Zeiten der ungeteilten Kirche, das Primat des Bischofs von Rom, der Papst, anerkannt wurde. Es war jedoch ein Ehrenprimat, in Liebe, ohne rechtliche Herrschaft über die ganze christliche Kirche. Mit anderen Worten, gemäß unserer Theologie, ist dieses Primat eine menschliche Ordnung; es wurde eingerichtet, weil die Kirche ein Haupt und ein koordinierendes Zentrum brauchte“ (aus einer Ansprache an die bulgarischen Massenmedien, im November 2007)

 

12 Unterschiede in der Kirchenordnung der Römisch-Katholischen Kirche und der Orthodoxen Kirche ergeben sich nicht nur auf den Gesamt-, sondern auch auf den Orts- und Diözesan-Ebenen.

 

13 In der Enzyklika von 1848 verdammen die Östlichen Patriarchen die Tatsache, dass die Bischöfe von Rom das Primat der Ehre in Herrschaft über die gesamte Kirche verdreht haben: „Wir sehen, dass das Primat mit dem Wesenszug der Brüderlichkeit und des hierarchischen Privilegs in einen herrschaftlichen Vorrang umgewandelt wurde“ (Par. 13). Die Würde der Kirche von Rom, stellt die Enzyklika fest „besteht nicht in Herrschaft, zu welcher selbst der heilige Petrus niemals berufen wurde, sondern im brüderlichen Privileg innerhalb der Katholischen Kirche und in der Ehre, welche den Päpsten angetragen wurde aufgrund der Größe und des Vorrangs der Stadt“ (Par. 13).

 

14 Siehe insbesondere die Entscheidung der Vierten Pan-Orthodoxen Konferenz (1968), Par. 6, 7; die Vorgehensweise Pan-Orthodoxer, Vor-Konziliarer Konferenzen (1986, Par. 2, 13

 

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