Nicht ins Russische die Liturgie übersetzen, sondern ins Deutsche – das ist möglich und erforderlich.

 

Aus dem Journal „НЕСКУЧНЫЙ САД“ – Leben in der orthodoxen Kirche

 

 

Nicht ins Russische die Liturgie übersetzen, sondern ins Deutsche –

 

das ist möglich und erforderlich.

 

 

Arsenij Saguljaev – ein Gespräch mit Erzbischof Mark (Arndt) am 3. 9. 2013

 

 

Wir erörtern heute die Frage, wie die Liturgie verständlich gemacht werden kann. Wenn die Menschen kirchenslawisch nicht verstehen, sollten wir dann nicht in die moderne Sprache übersetzen? Was tun, fragten wir den Erzbischof Mark von Berlin und Deutschland und Großbritannien, der orthodox wurde unter dem Einfluss der Bücher von Dostojewski, der in Heidelberg altrussische Literatur studierte, der einer Diözese vorsteht, in welcher kirchenslawisch nicht mit russisch, sondern mit deutsch zusammengeht.

 

 

Immer wieder behandeln wir die Frage, dass in Russland an der Liturgie Menschen teilnehmen, die nicht verstehen, was gelesen wird. Der Gottesdienst, das bemerken auch Priester und Massenmedien, steht nicht im Zentrum des kirchlichen Lebens einer Person, seine Schönheit öffnet sich ihm nicht. Anstatt sich der in ihrer Tiefe und Schönheit wundervollen Texte bewusst zu werden, betrachten sie diese gleichsam als eine „Beschwörung“, in zwar heiliger aber unverständlicher Sprache. Sollte vielleicht der Gottesdienst in eine moderne Sprache übersetzt werden, so dass er dann besser aufgefasst werden kann?

 

 

Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen machten wir uns auf den Weg … in München. Warum? Weil doch die moderne russische und kirchenslawische Sprache verwandt sind. Das Deutsche aber und das Kirchenslawische sind ganz und gar nicht verwandt. Sie im Gottesdienst zu kombinieren, stellt eine komplizierte Aufgabe dar. Wenn wir die Erfahrung der Auslandskirche der Diözese von Berlin und Deutschland betrachten, die diverse Wellen russischer Emigranten betreut hat, auch deutsche Aussiedler aus der UDSSR, und Deutsche, die sich der Orthodoxie angeschlossen haben, dann können wir nur zum Schluss kommen, dass offenbar die Situation in Russland sehr viel einfacher ist.

 

 

Wir wandten uns um Rat an den Erzbischof Mark (Arndt) von Berlin und Deutschland und Groß-Britannien. Der Vladyka leitet die Übersetzerkommission für liturgische Bücher in die deutsche Sprache, an welcher Vertreter aller orthodoxen Ortskirchen auf dem Territorium Deutschlands mitwirken.

 

 

Erzbischof Mark beherrscht ausgezeichnet die russische Sprache. Er begann sie bereits in der Schule zu lernen – in der DDR, vor der Übersiedlung in den Westen. Seine Dienstzeit als Soldat in der Bundeswehr verbrachte er mit den Büchern von Tolstoi und Dostojewski, welche ihn auch zur Orthodoxie führten. Anschließend beendete der Vladyka sein Studium in Heidelberg, der führenden deutschen Universität für Geisteswissenschaften. Er studierte dort nicht einfach russische, sondern altrussische Literatur bei Prof. Dmitrij Tshishevski, verteidigte die Doktorarbeit zum Thema „Biographische Literatur im Fürstentum Tver im 14. und 15. Jahrhundert“.Mönch zu werden beschloss er nach der Lektüre des Lebens des hl. Nil Sorskij. Deshalbist ihm die kirchenslawische Sprache keine fremde, unverständliche „Beschwörung“, sondern eine Sprache, welche er fühlt, durch welche er lebt.

 

 

Welche Sprache steht den Gläubigen Ihrer Diözese näher – deutsch oder russisch?

 

 

Vor 25 Jahren befassten wir uns hauptsächlich mit russischsprachigen Menschen (mit seltenen Ausnahmen). Jetzt sprechen unsere Gemeindemitglieder nicht mehr in solchem Maße fließend russisch, und wir können eine Zeit absehen, wo deutsch zu sprechen für sie natürlicher sein wird, als russisch. Wir müssen wirklich damit rechnen, dass die liturgische Sprache eine andere sein wird. Gegenwärtig halten wir an der kirchenslawischen Sprache fest, aber ich denke, dass das ein Auslaufmodell ist.

 

 

Wir lebten in solchem Zustand bis zum Jahr 1990, als dann allmählich die deutsche Sprache einen ernsthaften Platz im Leben der Kirchengemeinde einnahm, obwohl wir keinesfalls sagen, dass sie vorherrschte. Dann, mit einer neuen Welle von Emigration aus der ehemaligen Sowjetunion, verschwand sie nahezu vollkommen. Die Dienste wurden wieder fast ausschließlich in slawischer Sprache durchgeführt. Erst in den letzten zehn Jahren gelang es mit großer Mühe, Priester zu überreden, wenigstens einige Teile des Gottesdienstes deutsch zu zelebrieren.

 

 

Es geht nicht um die Priester, sondern um die Gläubigen. Unsere Gläubigen kommen hauptsächlich aus Ehen von Russlanddeutschen oder aus gemischten Ehen. Das Deutsche ist für sie nicht die erste Sprache. Obwohl viele von ihnen deutsche Familiennamen tragen, gewöhnen sie sich an die deutsche Sprache nur mit Mühe. Allerdings vergessen wir keineswegs, dass die Kinder dieser Leute bald nicht mehr russisch sprechen werden. Für sie existiert nicht jene Motivation, die russische Sprache zu bewahren, welche für die alte Emigration natürlich war. Wenn mein Familienname Müller oder Mayer heißt, warum soll ich die russische Sprache bewahren. Warum eigentlich?

 

 

Ich schaue einfach realistisch auf die Zukunft unserer Kirche. Wir haben dem Rechnung zu tragen. Auf der anderen Seite begreifen wir, solange die Grenzen mehr oder weniger offen sind, dass es auch solche Russen geben wird, die in Deutschland nur vorübergehend leben werden. Für sie wird es wichtig sein, dass das Russische und Kirchenslawische in unserer Tradition aufbewahrt bleibt.

 

 

Daher müssen wir für die Zukunft im Auge behalten, dass – mit Gottes Hilfe – im Leben unserer Kirche beide Sprachen, beide Kulturen zur Anwendung gelangen.

 

 

Wie können wir erreichen, dass ein orthodoxer Deutscher, Engländer, Franzose, der in die Orthodoxie aufgenommen wurde, nicht seine Identität verliert, und beginnt, den Griechen oder Russen zu spielen?

 

 

Wir streben danach, darauf Rücksicht zu nehmen, und lesen Teile der Liturgie in der Lokalsprache, deutsch, französisch oder englisch (Erzbischof Mark verwaltet auch Gemeinden der Auslandskirche in Großbritannien, der Hrsg.). Es gibt solche Gemeinden, wo sich größere oder kleinere Gruppen deutschsprachiger Menschen bilden, und für diese finden dann Frühliturgien statt. Wir haben auch einige Kombinationsformen im Gottesdienst. Das existiert schon längere Zeit. Es gibt auch Gemeinden, wo einmal im Monat die Liturgie zelebriert wird, vorwiegend oder sogar ausschließlich deutsch.

 

 

In welchem Maß wird heute der orthodoxe Gottesdienst den Gemeindemitgliedern verständlich, und auf welche Weise können wir ihnen seine Schönheit erschließen?

 

 

Es ist erforderlich, die Liebe zum Gottesdienst schon von Kindheit an einzuprägen. In den Unterrichtsstunden des „Gottesgesetzes“ (sakon boshii) in der Schule lernen wir die liturgische Sprache. Viele unserer Lehrer gehen am Samstag mit den Kindern die sonntägliche Lesung des Evangeliums durch, damit die Kinder am folgenden Tag den Text hören, und er ihnen dann bekannt sein wird. Auf diese Weise gewöhnen sie sich an die kirchenslawische Sprache, wie an eine lebendige Gebetssprache.

 

 

Es gibt Kinder aus rein deutschen Familien. Diese „vereinnahmen“ wir nicht auf diesem Gebiet. Sie lernen zwar alle das Gleiche, aber in ihrer Sprache.

 

 

Was öffnete sich Ihnen in der kirchenslawischen Sprache?

 

 

Die kirchenslawische Sprache ist eine Gebetssprache. Sie besitzt all jenen Reichtum, den nur eine solche Gebetssprache haben kann, und das ist ihr großer Vorteil gegenüber beliebigen lebendigen Sprachen.

 

 

In der Tradition der serbischen Kirche wurde die kirchenslawische Sprache teilweise durch die moderne ersetzt. Sie weilten mehrfach in Serbien und zelebrierten dort Liturgien. Vollzogen Sie die Dienste in der modernen serbischen Sprache? Und wenn ja, welche Eindrücke hatten Sie?

 

 

Ich diente zum Teil in der modernen serbischen Sprache, aber das hat mir Mühe bereitet. Sie ist dem Kirchenslawischen sehr verwandt, und deshalb rutscht man, sozusagen, sehr schnell mit ihr ins Kirchenslawische. Dabei verstehen die Serben im Grunde das Kirchenslawische. Für sie ist diese Sprache nicht derart fremd, dass sie sie nicht verstehen könnten. Deshalb diente ich meistens, als ich mich in Serbien befand, in Kirchenslawisch.

 

 

Wie wird bei der Übersetzung liturgischer Texte in die deutsche Sprache verfahren?

 

 

Während der gesamten Geschichte der Orthodoxie in Deutschland existierte die Notwendigkeit solcher Übersetzung. Schon im 19. Jahrhundert wurden Texte der Liturgie, andere Mysterien und Gebetsordnungen übersetzt. So gab es einen reichen Fonds, welchen die deutschsprachige Orthodoxie auch in unseren Tagen nutzt.

 

 

Doch im Unterschied zur kirchenslawischen Sprache befindet sich jede beliebige moderne Sprache fortwährend in Entwicklung. Übersetzungen, welche vor 120 Jahren entstanden, sind eigentlich schon untauglich. An ihrem Beispiel sehen wir, wie viel wir bei Einbuße der kirchenslawischen Sprache verlieren würden.

 

 

So stand einer meiner Novizen auf dem Kliros und begann zu lachen. Ich war natürlich ungehalten, ging fort, aber er konnte nicht aufhören. Ich schaute nach, und im Buch stand, dass „die Propheten Fernsehen“ hatten. Im 19. Jahrhundert wurde das Wort „fernsehen“ mit „Weitsicht“ oder „Voraussicht“ übersetzt. Zu jener Zeit war dieses Wort noch nicht belegt.

 

 

Wenn wir uns nicht die alte Gebetsschicht der Sprache zunutze machen, dann schränkt das sehr stark ein, und zieht herunter.

 

 

Schon vor dreißig Jahren haben wir die Übersetzung liturgischer Texte erneut aufgenommen. Am Anfang befasste sich damit ein einzelner Priester, dann haben wir aus der Diözese heraus eine Gruppe von Übersetzern zusammengestellt. Jetzt gibt es bei uns eine Übersetzerkommission, in welcher Vertreter aller orthodoxen Ortskirchen Deutschlands mitwirken. Ich bin der Vorsitzende dieser Kommission. Wir treffen uns alle 2 bis 3 Monate, und wir arbeiten sehr ernsthaft an liturgischen Texten.

 

 

Wir haben die Arbeit an der Göttlichen Liturgie, am Tauf- und Hochzeitsritus abgeschlossen. Wir gehen von der pastoralen Notwendigkeit aus, von dem, was am meisten von unseren Priestern benötigt wird.

 

 

Übersetzt nach der russischen Druckversion von Peter U. Trappe

 

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