Cornelia Hayes (Corinna Delkeskamp-Hayes) – Road to Emmaus. Februar 2010. Ins Eigene kommen unter Fremden zu Hause. Orthodoxes Leben im gegenwärtigen Deutschland.

Cornelia Hayes (Corinna Delkeskamp-Hayes) – Road to Emmaus Februar 2010

Heimkommen unter Fremden in der eigenen Heimat .

Orthodoxes Leben im gegenwärtigen Deutschland

 

Corinna Delkeskamp-Hayes kommt aus einer Familie deutscher Protestanten, wuchs auf und studierte vor allem in Bonn. Als Assistenzprofessorin lehrte sie Philosophie an der Pennsylvania State University / USA, bevor sie und ihr Mann Michael beschlossen, ihr Familienleben  in Deutschland zu beginnen (wo Sohn und Tochter geboren wurden). Im Jahr 1998 wurde sie in der serbisch-orthodoxen Kirche am Gedenktag des hl. Kornelij von Komel von Archimandrit. Basilius, dem Abt der Skite des Heiligen. Spyridon in Geilnau, auf den Namen „Cornelia“ getauft. Seit die Kinder aus dem Haus sind, arbeitet Cornelia wieder intensiver an Aufsätzen über Bioethik, politische Philosophie und orthodoxes Glaubensleben,; sie, hält Vorträge in Europa, den USA und China. Hinzu kommen lokale Tagungen über philosophische Themen in ihrer Beziehung zur Kirche. Für die Zeitschrift „Christian Bioethics – Non Ecumenical Studies in Medical Morality“ dient sie als Mitherausgeberin sowie auch für das „Journal of Medicine and Philosophy“als Redaktionsmitglied. Beide Zeitschriften erscheinen bei Oxford University Press.

 

RtE: Cornelia, Sie kommen aus einer evangelischen Familie. Wie erfuhren Sie von der Orthodoxie?

 

Cornelia: Für mich war das „Von-der-Orthodoxie-Erfahren“ nicht das Problem. Meine besten Freunde, Susan und Herman Engelhardt[1], mit denen ich beruflich schon viele Jahre zusammenarbeitete, haben sich acht Jahre vor mir der Orthodoxie zugewandt. All diese Jahre predigten sie in meine tauben Ohren. Sie erzählten mir von Häresien, welche die westlichen „Christentümer“ von der wahren Apostolischen Tradition trennen. Aber irgendwie konnte ich mit “Häresien” nichts anfangen. Solange wir nicht erfahren haben, wie wichtig es für unser geistliches Weiterkommen ist, auf rechte Weise anzubeten,  ja, solange wir noch nicht einmal wissen, daß so ein Weiterkommen von uns verlangt wird, begreifen wir auch nicht, wie entscheidend wichtig es ist, auf rechte Weise zu glauben. Und natürlich geht das noch tiefer: solange wir uns einbilden, wir seien in Gottes Augen “ziemlich in Ordnung“, und uns vormachen, daß die Sache mit „Seinem gnädigen Erbarmen“ dereinst mal ganz unproblematisch ablaufen wird, muß uns ja, so ungefähr jeder hinreichend christliche Glaube akzeptabel erscheinen. Solange wir Gottes Liebe nicht am eigenen Leib erlebt und unser eigenes erbärmliches Defizit bei der Erwiderung jener Liebe nicht entdeckt haben, bleibt unser ganzes Bewußtsein im Nebel. Wir können nicht ermessen, daß unsere Gleichgültigkeit gegenüber der Frage, wie man auf rechte Weise anbeten soll, darauf hinausläuft, die göttliche Einladung zum Fest Seiner Liebe auszuschlagen. Wir kommen gar nicht auf die Idee, – das Festmahl dieser Liebe mit Seinem Leib in der einen wahren Kirche in Verbindung zu bringen.

 

Mein eigenes Leben war natürlich auf allen Ebenen, vom Kindergottesdienst bis zur Mitarbeit im Vorstand des Kirchenkreises, einbezogen in die örtliche evangelische Gemeinde. Mit den Jahren war ich allerdings schon in bißchen an den Rand meiner Mitchristen dort gerückt. Ich gehörte zu denen, die (über “Gerechtigkeit, Frieden, und Bewahrung der Schöpfung” hinaus) nach theologischer Substanz suchen. Trotzdem war ich felsenfest überzeugt, dass kein anständiger Deutscher seine Religion wechselt. Für mich klang “Religionswechsel” so ungefähr wie das Wechseln von Wohnort, Beruf, Ehepartner, Arzt, Rechtsanwalt – alles einfach zu „amerikanisch“). Meine gut evangelischen Vorfahren sollten sich nicht meinetwegen in ihren Gräbern rumdrehen müssen, das war mir wichtiger als mein eigenes Heil. Zwar war mir in der Tat mein Mangel an näherem Kontakt zu Gott irgendwie im Untergrund bewußt. Ich träumte mir eine irgendwo versteckte Schatztruhe, in der das wahre, das originale Christentum sich versteckte. Ich hoffte, diese Truhe irgendwann einmal zu finden und den Deckel zu öffnen. Und tatsächlich gewöhnte ich mir allmählich ein sehr merkwürdiges Gebet an, das mir gelegentlich in den  Sinn kam: “Herr, komm’ und offenbare Dich mir, – aber bleib dabei bitte etwas auf Distanz, so dass mein glückliches Leben (vielen Dank auch!) nicht irgendwie aus der Bahn läuft.” Nun, Beten, selbst ein so miserabel kleinherziges, ist gefährlich. Er kam tatsächlich, – allerdings ohne die von mir unweise erbetene harmlose Distanz. Größere Turbulenzen in meiner Familie zwangen mich dazu, gleichsam ums Überleben beten zu müssen.

 

Es waren diese schweren Monate, in denen ich irgendwann sehr merkwürdige Erfahrungen machte, die niemand in meiner damaligen christlichen Umgebung zu deuten wusste. Das Gebet der Verzweiflung hatte sozusagen von meinem  ganzen Wesen Besitz ergriffen. Es war eine Zeit, in der mein eigenes Ego vollkommen zerschmettert wurde, oder genauer, das Übel meiner Selbst-Vergötterung, die mein ganzes Herz durchdrungen hatte, sollte ausgerissen werden, und dabei schien dieses eigene Herz auch gleich in Stücke zu zerfallen. Ich war gezwungen, die zerstörerische Wirkung, die von meiner Selbstverherrlichung auf andere ausgegangen war, zu erkennen. Von dem früheren “Standbild” blieben nur noch Krümel, und ich sah mich meinem Ich in seiner totalen Nichtigkeit gegenüber.  Später wurde mir klar, daß ich das Wagnis einer solchen rückhaltlosen Reue wohl nur deshalb hatte eingehen können, weil ich so sicher in der Liebe meines Mannes geborgen war. Ich brauchte nicht „auf meinen eigenen Füßen stehen“, mich selbst zu verteidigen wie so viele andere Menschen, die in gut begründete Selbstzweifel geraten. Ich konnte meinem Kummer über mich selbst erlauben, aus voller Kraft um Hilfe zu schreien.  In solchen Momenten fühlte ich mich wie in einen tiefen runden Brunnen hineinstürzen, – aber dort unten war plötzlich etwas, das mich hielt, wie mit schützender Hand. Ich empfand die überwältigende Macht einer Liebe, die dort in der Tiefe  auf mich wartete, wie eine helle Freude, die die Fülle meines Leiden schlicht überflutete. Ich befragte meine Freunde darüber, aber niemand verstand oder kannte diese Erfahrung. Sie versuchten allesamt, mich davon zu überzeugen, dass Gott uns überhaupt nicht zerschmettern will, und dass bei mir irgendetwas falsch laufen musste. Ich ließ schließlich meinen Hormon-Status überprüfen, einfach um abzuklären, ob mich nicht irgendeine physiologische midlife-Krise verrückt machte. Aber die Hormone waren ganz in Ordnung.

 

Etwas anderes war sogar noch seltsamer, beinahe unheimlich: Während ich nämlich einerseits diese zutiefst erschütternden Erfahrungen machte, war, geriet ich andererseits in eine Versuchung. Das ganze war peinlich und lächerlich für meine moralische Selbstachtung, beanspruchte aber alle Kraft, um dagegen anzukämpfen. Dieser unerwartete Konflikt machte alles nur noch schlimmer. Wie konnte ich solche zutiefst in mich eingreifenden Begegnungen haben mit etwas, von dem ich fürchtete, aber auch hoffte, es könnte die erlebte Göttliche Liebe sein (auch wenn Seine Weise, mich “in die Mangel zu nehmen” – wenn es denn wirklich Er Selbst sein sollte – in kein mir verfügbares theologisches Schema passte), und zur gleichen Zeit von etwas berührt werden, was sogar ich als außerordentlich böse erkannte? All das entfremdete mich weiter von meiner protestantischen Heimatkultur, wie auch von den Katholiken, mit denen ich beruflich zu tun hatte, oder mit denen ich befreundet war, weil unsere Kinder auf eine wunderbare Franziskaner-Schule gingen, mit dazugehörigem Kloster. Als die Engelhardts einige Monate später in Frankfurt ein paar Stunden auf ihren Anschlußflug warten mußten und wir uns zum Kaffeetrinken trafen, erzählte ich ihnen von meiner ziemlich aussichtslosen Lage.. Beide schwiegen, und das selbst war eigentlich schon ein Wunder (denn normalerweise redet Herman ununterbrochen auf mich ein). In den Blicken, die auf mir ruhten, spürte ich zum ersten Mal, dass da Menschen waren, die mich verstanden und die wussten, wovon ich rede. Ein halbes Jahr später konnten sie in ihren eng getakteten weltweiten Terminkalender einen dreitägigen missionarischen Überfall auf unser Haus hineinquetschen. Jetzt redeten sie, Tag und Nacht. Ich verstand von alledem kein Wort. Aber sie überwanden meinen Widerstand allein durch ihre liebevolle, opferbereite Entschiedenheit. Am Ende ließen sie mir eine Christus-Ikone, ein sehr kleines Gebetbuch und die Anweisung, nirgendwohin zu gehen, daheim zu bleiben und weitere Anweisungen abzuwarten.

 

RtE: Wollten sie nicht, dass Sie eigenständig einen orthodoxen Gottesdienst besuchen?

 

Cornelia: Als gute Freunde kennen die beiden meine vielen Schwächen, besonders meinen hochmütigen Rationalismus. Sie wussten ja auch, wie schwierig es besonders für Protestanten ist, zu verdauen, was sich äußerlich als Exklusivität und Regelgerechtigkeit in der Orthodoxie darstellt. Schlimmer noch, deutsche Protestanten leben normalerweise in einer dichten Weihrauchwolke beanspruchter Menschenwürde und behaupteter Selbstachtung. Wer ständig auf einem Podest gestanden hat, fühlt sich sehr schnell verletzt, provoziert und zurückgewiesen, wenn er mit Priestern aus anderen Kulturen in Kontakt kommt, die wenig Erfahrung im Umgang mit “Zivilisationsgeschädigten” haben. Die beiden wollten meine erste Begegnung mit der Orthodoxie möglichst behutsam gestalten.

 

Nach ihrem Besuch bei uns fuhren sie zu einer Konferenz nach Freiburg. Bei der Liturgie am Sonntag erlebten sie einen jungen Mann als Leser, der ihnen „richtig zu sein schien“ und fragten ihn, wo er hingehe, „seine Batterien aufzufüllen“. Seine „Heimat“ war die Skite des hl. Spyridon in Geilnau, mit dem Abt Vater. Basilius, einem Schweizer, und dem Mönch (damals) Paisios, einem Deutschen. Dort rief Susan von Texas aus an, “um zu sondieren”, und dorthin schickte sie mich. So wurde mir das große Geschenk zuteil, die Orthodoxie bei Menschen kennenzulernen, die nicht nur in meiner eigenen Kultur verwurzelt sind, sondern die auch meinen Intellektualismus geduldig tolerierten. (Dieser junge Mann, Johannes Sigel, erzählt immer noch von der ersten Osternacht, die wir zusammen in der Skite verbrachten, und wie entsetzt er war, als ich nach der Liturgie unbedingt über Hegel reden mußte). Seit ich zum ersten Mal diesen heiligen Ort im Frühjahr 1997 aufsuchte, bin ich all die Jahre hindurch  ziemlich jeden Monat einmal über Nacht dort gewesen, um zu beichten, zu kommunizieren und um am Leben der Brüder teilnzunehmen. Im Jahr 1998 wurde ich dann dort getauft (in einer behelfsmäßigen grünen Plastik-Komposttonne). Ich glaube, ich war die erste hier aufgewachsene Konvertitin, die sie in ihre Kirche dort aufnahmen. Später taufen sie in der Lahn, die vor dem Kloster vorbeifließt.

 

RtE: War Ihr kirchliches Leben bis jetzt vorwiegend mit deutschen orthodoxen Gemeinden verbunden?

 

Cornelia: Überhaupt nicht. Von solchen Gemeinden gibt es sehr wenige in Deutschland. Da wir in einer kleinen Ortschaft östlich von Frankfurt leben, hätte ich nach Mainz oder Würzburg fahren müssen, – ein bißchen weit für regelmäßige Gottesdienste. Doch das war eher ein Segen, weil es mir die Gelegenheit verschaffte, am kirchlichen Leben unterschiedlicher ethnischer Gemeinden teilzuhaben.

 

Ich probierte es zuerst mit der Kirche des Heiligen Nikolaus in Frankfurt, einer Gemeinde der Russischen Auslandskirche. Das war eine Gruppe politischer Emigranten, die zu verschiedenen Zeiten aus dem kommunistischen Russland geflohen waren, mit den nachgewachsenen Kindern und Enkeln. Damals, 1997, war das ein ganz homogenes Milieu, völlig mit den Beziehungen zueinander und der Vertiefung in den Gottesdienst beschäftigt. Mit meiner protestantischen Überempfindlichkeit, genauer, meinem Egozentrismus, und gewöhnt an eine sehr offenherzige Gastfreundschaft in meiner alten Herkunftsgemeinde, interpretierte ich das Nichtbeachtetwerden als verweigertes Wllkommen. Damals war auch der Priester dieser Gemeinde wegen Krankheit nicht anwesend, mit ihm habe ich später sofort eine herzliche Verbundenheit erlebt. So versuchte ich es mit der Griechischen Kirche des Hl. Propheten Elias. Hier geschah es, daß während meiner ersten Liturgie nacheinander drei kleine, alte, schwarz-gekleidete „yayas“ zu mir heran, eine nach der anderen von ihren Wandsitzen herunter, um mir ihren Platz anzubieten. Die hatten gesehen: da ist eine Fremde, die kann nicht so lang stehen. Aber ich war schon an die noch viel längeren Kloster-Gottesdienste gewöhnt (und natürlich immer noch eine stolze Deutsche), und wenn ich hier schon eindringe, dann steh ich auch eisern alles durch. Dennoch berührte mich diese liebevolle Fürsorge. Während meiner ersten Wachstumsjahre in die Orthodoxie hinein sind diese Griechen meine Lehrer gewesen: durch die Geduld, mit der sie meinen besserwisserischen Pharisäismus ertrugen; durch Freundlichkeit und überlegene Demut, mit der sie die eifernde Konvertitin begrüßten; und durch die leichte Art, mit der sich sehr fromme, „Kloster-gestählte“ Gläubige unter den weltlicher gesinnten Kulturgriechen bewegen, die so man gerade vor der Kommunion es noch in die Kirche schaffen.

 

Schließlich war mein (damals noch) nicht-orthodoxer Mann bereit, mich zur Kirche zu begleiten. Er fand allerdings das griechische Singen zu fremdartig, darum kehrten wir zu den Russen zurück. Deren Priester, Vater Dimitrij Ignatjev, war nun schon längst wieder gesund. Er erwies sich als äußerst liebenswürdiger Gastgeber, der deutschsprachige Lesungen und Ektenien in sein Kirchenslawisch einfügt. Und was noch herrlicher ist: Galina, als Sopran im Chor schon genug beansprucht, übersetzt für ein kleines Häuflein auch noch die Predigten.  Darüber hinaus stellten sich die Russen, als sie endlich erkannten, dass wir zu ihrer Gemeinde gehören wollten, als ebenso liebevoll und gastfreundlich heraus wie die Griechen.  Die Gemeinde war inzwischen durch eine große Zahl von Immigranten aus dem Osten sehr angewachsen, von denen viele vorher kein orthodoxes Leben gekannt hatten. Wir beide waren also nicht mehr die einzigen “Pariahs”. Trotzdem  schienen diese Russen von vorneherein, quasi genetisch, in die Orthodoxie hineinzupassen. Viele von ihnen sind sehr arm, aber sie widmen sich der Kirche aus ganzem Herzen, und mein Gewissen schlägt, wenn ich ihre Opferliebe sehe. Bei den Russen genieße ich die Disziplin beim Gebet (keine Stühle!) und die gemeinsame Konzentration, die jedes Detail des Rituals durchsetzt. All das ist eine große Hilfe für Neulinge.

 

Da die Skite des Hl. Spyridon, meine primäre geistliche Heimat, dem Serbischen Patriarchat untersteht, besuchte ich zuweilen auch die Serbische Kirche in Frankfurt, die nahezu alle größeren Heiligen feiert, sogar an Werktagen. Die ganze versammelte Gemeinde singt dabei mit, und die Gastfreundschaft der Serben ist überwältigend. Ich durfte auch Vr. Stefan Anghel von der Rumänischen Kirche in Offenbach kennenlernen, ein unglaublich gesegneter „Pflanzer missionarischer Außenposten“ unter den Rumänen in Deutschland. Ihm ist es ein großes Anliegen, Deutsche in die Kirche einzuladen, auch damit sich die diversen angeheirateten Deutschen nicht so verloren vorkommen. Wir wurden sofort Freunde. Er hat es mit seinen eigenen Händen geschafft, , eine häßliche  Industriehalle in eine wunderschöne Kirche zu verwandeln, trotz aller Widerstände, die er schließlich überwinden konnte. Nirgends sonst, außer in der Skite, is der Gottesdienst so vollkommen durch das konzentrierte Gebet des Priesters getragen..

 

RtE: Welche Erfahrungen machten Sie bei der Begegnung mit Orthodoxie in so vielen verschiedenen Kulturen und Sprachen? Bei den englischsprachigen Konvertiten scheinen viele nur Gottesdienste in ihrer Muttersprache zu wünschen, und sind nicht sonderlich interessiert an den Ausgangskulturen der Orthodoxie.

 

   Ich habe Verständnis für die englischsprachigen Konvertiten. Dass ethnische orthodoxe Gruppen in Deutschland ihre Landessprache in der Kirche kultivieren, ist sicher sehr wichtig für die erst kürzlich eingetroffenen Immigranten und für die Bewahrung der nationalen Identität der Familien. Diese Konzentration nach innen bedeutet aber ein großes Hindernis für die Mission nach außen hin. Selbst wenn jemand Platon lesen kann, werden griechische Gottesdienste mit moderner Phonetik gesungen, und sind somit nur dann verständlich, wenn man sich im System des Synekdimos auskennt und in sekundenschnelle hin- und herblättern kann. Aber die ethnische orthodoxe Kultur ist in anderer Hinsicht doch wieder hilfreich: Sie bietet eine reiche Vielfalt „fleischgewordener“ Zugänge zur Orthodoxie. Unterschiedliche „nationale“ Kirchen von innen zu erleben, verschaffte mir die wertvolle Gelegenheit, Theologie auf sub-intellektuelle Weise „einzusaugen“. Ich „lerne“ ja nicht nur beim Lesen zuhause, sondern durch das Eindringen in diese vielgestaltigen Weisen, dem Leben der Kirche menschlichen Ausdruck zu geben: die Art, wie die Gläubigen in den verschiedenen Kirchen stehen, sich bekreuzigen, verbeugen, beten, blicken, singen, ihre wilden Zweijährigen zähmen, Kaffee (Tee oder Slivovitz) anbieten, Gäste willkommen heißen, Kerzen verkaufen, einander um Hilfe bitten, sich zur Eucharistie einreihen, wie sie die besonders langen Gottesdienste des Mysteriums der heiligen Ölweihe durchhalten, wie sie zum Fest der Theophanie sich um den Behälter mit geweihtem Wasser drängen oder nicht drängen, ihr kirchliches Patronatsfest feiern, ihre Priester nach der Liturgie bewirten – es nimmt kein Ende. In all diesen Unterschieden tritt für mich der “Genius” einer bestimmten Nation in seiner geheiligten Form in Erscheinung, – ich glaube eine wirkliche Synergie wahrzunehmen, die in diesen scheinbaren Äußerlichkeiten sichtbar wird.

 

Besonders dankbar bin ich für die Art, in der mein geistiger Hirte, Vater Basilius (ich vermeide den Ausdruck „geistlicher Vater“, weil ich meine Unwürdigkeit erkenne, sein „Kind“ zu heißen) als geistlicher Sohn des Heiligen Paisios vom Berg Athos und auch des Heiligen Justin Popovic die griechische mit der slawischen Tradition  der Frömmigkeit verbindet. In fühle mich zuhause in jeder Kirche, und strebe danach, mir den Reichtum all dieser Traditionen zu erschließen.

Auch dafür bin ich sehr dankbar, dass ich „gelernt“ habe, Reliquien zu verehren. Die Mönche der Skite des Heiligen Spyridon nahmen mich zu besonders verehrten Orten in erreichbarer Nähe des Klosters mit. Dort hatte ich Gelegenheit, ganz intuitiv mich einzuleben in das, was ich sie tun sah. Mit Ausnahme von Gebeten wurde nicht gesprochen. Ich erinnere mich an eine Krypta in Hildesheim, abgezäunt, mit Bauarbeitern, die hinter Plastikvorhängen vor sich hin hämmerten. Hier war meine deutsche Dreistigkeit mal nützlich: Ich überzeugte die Arbeiter, ihre Sicherheitsvorschriften kurzfristig auszusetzen. Als wir die Krypta betraten,  bewegte sich Vater. Isidor sehr leise hinüber zu dem in Stein gehauenen Sarg, streckte seine langen, feingliedrigen Finger aus und hob behutsam eine dort abgelegte Zigarettenpackung auf, um sie gut sichtbar für die Arbeiter beiseite zu legen. Diese stille Geste brannte sich in mein Herz ein. Sie verband die Autorität eines Mönchs, der weiß, wie er verehren soll, mit gelassener Rücksichtsnahme auf die Schwächen der Unwissenden..

 

Ursprünge deutscher Orthodoxie

RtE: Cornelia, was gibt es noch an Überbleibseln aus der Orthodoxen Kirche in Deutschland, aus der Zeit vor dem Schisma? Findet man Gebeine, Heiligenschreine, alte Kirchen? Und läßt sich vom geistlichen Erbe jener frühen orthodoxen Periode noch heute an deutschen Menschen, in Kultur und Gebräuchen, im Geistesleben noch irgend etwas erkennen?

 

   Es gibt eine Fülle von Relikten. Der ganze Süden und Westen Deutschlands wurde ja von den Römern kultiviert, das sind die Gebiete innerhalb des Limes am Rhein entlang und an der Donau, und damit auch die Gebiete an der Mosel. Dorthin kam das Christentum mit den getauften Soldaten. Später haben die Fürsten der Franken, Alemannen, Bajuwaren in ihren Herrschaftsgebieten das Christentum eingeführt, dann auch die Länder weiter nördlich, die von Hessen und Sachsen bewohnt wurden. Dieses ganze Gebiet ist übersät mit Kirchen, Grüften von Heiligen und Reliquien aus der Zeit vor dem Schisma. Ich habe, ohne es zu wissen, mit dieser frühen Kultur bereits als junger Mensch Berührung gehabt. Meine Mutter war Kunstgeschichtlerin, und wir reisten bei jeder Gelegenheit zu historischen Kirchen. Meine besondere Liebe galt damals den romanischen Fresken. Ohne zu wissen, warum, fühlte ich mich zu diesen Denkmälern einer noch orthodoxen Kultur der einen Kirche hingezogen. Hier fand ich am deutlichsten die Traditionen einer früheren Periode bewahrt, die mir nun in der Orthodoxie lebendig vor Augen tritt. Natürlich wurde sehr viel zerstört während der Reformation, der Bauernkriege, des Dreißigjährigen Krieges, der Kriege nach der Französischen Revolution, der zwei Weltkriege, und, mehr noch, von der Stadtplanungswut in den Jahren des deutschen Wiederaufbaus und Wirtschaftswachstums. Auch wurden viele Reliquien ausgelagert, durch das Vaticanum II  für „unwert“ erklärt. Zwar gilt dies hauptsächlich für die sogenannten Katakombenheiligen, deren Verbreitung den Zwecken der Gegenreformation im 17. Jahrhundert dienen sollten. Aber der bloße Akt der Entfernung von Reliquien, die vorher verehrt worden waren, hat die geistlich lebendigen Katholiken in Deutschland tief verunsichert.

 

Trotz alledem bleibt von den alten Reliquien viel erhalten. Natürlich wurde das christliche Deutschland schon sehr früh ganz und gar auf Rom hin ausgerichtet. Das begann mit Willibrord, dem Apostel der Friesen, und wurde systematisch betrieben durch Bonifatius. Man muß allerdings zugeben, daß Rom bis ins 8. Jahrhundert hinein noch in vielen Hinsichten so etwas wie eine Schutzherrin der Orthodoxie war. Einen deutlicheren Bruch bedeutete der Anspruch Karls des Großen auf ein eigenes, separates, westliches christliches Kaiserreich, ohne Rücksicht auf das noch bestehende Oströmische (sog. Byzantinische) Reich. Aber selbst nach dieser sehr tiefgreifenden Zerstörung der Einheit der Christenheit blieb doch die Verehrung von Heiligen der einen, ungeteilten Kirche in einigen ländlichen Gemeinden und Städten erhalten. Und dies gilt sogar bis heute, wenn wenigstens einmal im Jahr ihre (nach dem vom orthodoxen Kalender zuweilen abweichenden römischen Kalender angesetzten) Gedenktage gefeiert werden. Mir scheint auch, dass diese Traditionen während der letzten, sagen wir, fünfzehn Jahre  ein wenig wiederbelebt wird. So werden die Märtyrer, die der „Thebäischen Legion“ zugezählt  werden oder mit ihr verbunden sind (wie die Heiligen Afra und Verena), oder auch der Heilige Martin, verschiedene Bischöfe von Trier, Köln und Mainz, die Missionare von Aquitanien und Irland, dann selbstverständlich der hl. Bonifatius und all seine geistlichen Brüder aus England, wie auch schließlich die lokal bedeutsamen Missionare durchaus noch gefeiert. Ein orthodoxer Beobachter erkennt bei der Verehrung dieser Heiligen und in lokalen Gebräuchen, die sichmit ihrem Gedächtnis verbinden, durchaus noch geistliche Spuren der Einen Kirche .

 

RtE: In wenigen Worten: wie und auf welchen Wegen beeinträchtigte das Große Schisma und die spätere protestantische Reformation den Geist der Orthodoxie in Deutschland und in der Schweiz?

 

   O meine Liebe, da stellen Sie eine große Frage! Meine Antwort wird unvermeidlich skizzenhaft und unzureichend ausfallen. Aber lassen Sie mich ein paar Hinweise darauf anführen, was mir persönlich besonders wichtig erscheint. Was die Verfälschung der Orthodoxie angeht, lange schon vor dem Schisma (bzw. den Schismen), so steht vielleicht ganz am Anfang die Weise, in der nach Chlodwigs Taufe am Ende des 5. Jahrhunderts die Fränkische Kirche durchgängig politisiert wurde. Mir scheint, daß hier im westlichen Teil des früheren römischen Imperiums die Kirche in stärkerem Maße ein Instrument für die Machtinteressen der fränkischen Elite wurde, als dies im Osten geschah, wo die Bischöfe ebenfalls große politische Bedeutung erlangten. Eine großer Teil der Konflikte mit dem fränkischen Episkopat, die die irischen Missionare in dessen Einflußbereich ausfechten mußte, also im späteren Frankreich und Belgien, und die auch auf das spätere „West-Deutschland“ übergriffen, wurzelte in der scheinbar recht weltlichen Art, mit welcher ein großer Teil des fränkischen Episkopats die Interessen der Kirche den Interessen ihrer Familien unterwarf. Der Heilige. Bonifatius hat sich gegen diese Mißstände gewandt. Er selbst hat großartiges geleistet für die nachhaltig organisatorisch abgesicherte Christianisierung im  späteren Mitteldeutschland, wo noch keine römische Zivilisation und Vor-Christianisierung die Arbeit erleichterte. Er gründete viele Klöster und Diözesen und sorgte besonders durch die aus England gerufenen Äbtissinnen für die geistliche Breitenbildung in diesen Gebieten. Leider aber führte seine Angewiesenheit auf Unterstützung durch Rom dazu, daß er den Zwangszölibat für alle Priester durchsetzte. Trotz seiner großen Bemühungen erreichte die politische Instrumentalisierung der Kirche einen nächsten Höhepunkt unter Karl den Großen: Dessen Frankfurter Synode im Jahr 794 wies das 7. Ökumenische Konzil von Nikäa zurück, weil die fränkischen Hoftheologen den sog. Ikonoklastenstreit völlig falsch interpretierten (man verstand die griechischen Texte und Termini nicht). Karl ersetzte auch, im Streben nach liturgischer „Harmonisierung“, das traditionelle Gedenken der gallischen Heiligen durch die Heiligen des römischen Kalenders, und kappte so die Verbindung deutscher Christen zu einem wichtigen Strang orthodoxer Wurzeln im westfränkischen Reich. Wie seine karolingischen Vorfahren setzte Karl auch Zwangsbekehrungen ein bei seinen Versuchen, fränkische Herrschaft auf sächsische, alemannische und bajuwarische Territorien auszudehnen.

 

Sicherlich können, so scheint mir, nicht alle theologischen Entstellungen, die das christliche Leben in Deutschland ab dem Mittelalter prägen, Rom selbst angelastet werden. Natürlich sind die römischen Päpste schon früh von der Heiligen Tradition abgewichen. Missverständnisse in der Lehre waren zuweilen  durch Unterschiede in Kultur und Sprache bedingt, die die Römer von der griechischen und syrischen Kirche des östlichen Mittelmeers trennten. Hinzu kam menschliche Versündigung auf beiden Seiten des Grabens, so daß aus den Unterschieden Barrieren wurden. Aber viel entscheidender ist für die Christen im späteren Deutschland gewesen, daß sie durch ihre starke Bindung an Rom den Kontakt zur Kirche der Apostel verloren. Diese Kirche war in den östlichen Ländern des Mittelmeers und unter Slaven so lebendig geblieben, daß selbst die Jahrhunderte der Verfolgung durch Mohammedaner und Kommunisten sie nicht zertören konnte. Weil Westeuropa sich von diesem Kulturkreis abwandte, wurden seine Christen der Möglichkeit beraubt, das usprüngliche Christentum vom Surrogat zu unterscheiden.

 

Nach dieser traurigen Früh-Geschichte kam die noch traurigere  Wirkung der Reformation. Ich möchte nur auf einen wesentlichen Wandel hinweisen, der künftigen Verfälschungen den Weg bereitete: Hier geht es mir um die starke Verbindung von Kirche und säkularer Macht in jenen Territorien, die nach dem Augsburger Friedensvertrag (1555) und dann wieder nach dem Westfälischen Friedensvertrag (1648) protestantisch wurden. Anders als im Einflußbereich von Byzanz im Osten war hier das Ideal einer “Symphonie” staatlicher Herrschaft und kirchlicher Autorität bereits durch den territorialien Machtanspruch der Päpste im frühen Mittelalter in Mißkredeit geraten. In der Kirchenherrschaft der protestantischen Landesfürsten wurden nun die religiösen Anliegen der Christenheit zunehmend verschmolzen mit säkularen Staatsinteressen. Im Gegensatz zum orthodoxen Ideal wurde hier die Bedeutung des christlichen Lebens für das gesellschaftliche Leben von der Jenseits-Orientierung des Christentums abgetrennt:  So stand dann innerhalb des christlichen Lebens das Staatstragende dem “Geistlichen” unverbunden gegenüber. Das “Geistliche” wurde dann einerseits zur Gefühlsreligion, andererseits zur Morallehre herabgewürdigt. Dieses protestantische Modell einer Integration des Christentums in den säkularen Staat fand sich dann auch in den christlichen Territorien verwirklicht, die nach der Säkularisierung von 1803 weiterhin unter der kirchlichen Autorität des Vatikan verblieben. Im Laufe des 19. Jahrhunderts gewann die Vorstellung, wonach die christlichen Konfessionen durch erzieherische und diakonische Dienstleistungen als Sachwalter des Staates funktionieren könnten, weiter an Bedeutung. Und diese Vorstellung prägt seither die spezifisch deutsche Staat-Kirchen-Kooperation: Sie hat das Gefühl der Deutschen dafür, was es heißt, Christ zu sein, zutiefst beeinflusst. In der allgemeinen Wahrnehmung der weiterhin konfessionell Gebundenen erschöpft sich Christ-Sein heute weitgehend in der  Bereitschaft (auf der Basis von Gesetzestreue und persönlichem Anstand) für staatlich geförderte soziale Umverteilung einzutreten.

 

RtE: Wie viele Orthodoxe leben nach Ihrer Meinung jetzt in Deutschland, und wie viele Gemeinden (jeder Jurisdiktion) und Klöster gibt es?

 

   Ich habe keinen Kopf für Zahlen, aber Wikipedia sagt, dass wir aktuell 1,3 Millionen Orthodoxe bei einer Zahl von 82,3 Millionen Einwohnern in Deutschland haben[2]. Die Griechen haben 70 Gemeinden, die Russen zusammen 68, Serben und Rumänen je 33, Antiochener 17, Bulgaren 4 – die orientalisch Orthodoxen sind nicht eingerechnet. Es gibt bislang nur drei gut etablierte und anerkannte Klöster (obwohl ein paar Bischöfe daran arbeiten, weitere einzurichten). Zwei gehören zur russischen Auslandskirche, eines davon in München für Mönche (hl. Hiob von Počaev), und der neuere Schwestern-Konvent, die Skite der hl. Elisabeth in einem südlichen Vorort von München. Das dritte ist „meine“ Heimat, die serbische Mönchs-Skite des hl. Spyridon in Geilnau.

 

 

 

RtE: Gibt es irgendwelche Initiativen, eine deutschsprachige Orthodoxie zu verbreiten?

 

Cornelia: Die wichtigste Initiative dieser Art ist sicherlich die Skite des hl. Spyridon, die Deutsch als hauptsächliche Gottesdienstsprache verwendet. Da aber die meisten ihrer Pilger Russen, Serben und Griechen sind, werden deren Sprachen hinzugefügt, wann immer sie die Kapelle betreten. Deutlicher deutsch geht es im neuen Klosterhof der Skite in Unterufhausen bei Fulda zu. Diese wird im Moment von Hiero-Schemamönch Justin (früher Paisios) verwaltet. Dann gibt es die Zeitschrift der deutschen Diözese der Russischen Auslandskirche „Der Bote“, sowie Johannes Wolf, der im Alleingang in vier jährlichen Ausgaben seines Periodikums geistliche Texte übersetzt und redigiert (Der Schmale Pfad). Weiterhin bringt Gerhard Wolf in München für die dortige Gemeinde griechisch-liturgische Texte und geistliche Artikel in deutscher Übersetzung in seinem Andreas-Boten heraus. Sehr vielversprechend wurde die Publikationsserie “aus orthodoxer Sicht” (in Gregor Fernbachs Verlag mit dem zielgenauen Namen Hagia Sophia) ins Leben gerufen. Vater Stefan Gross, ein Diakon bei den Bulgaren, betreut die deutsche website der „Orthodoxen Fraternität“, und ein in Deutschland geborener, russischer Diakon (Alexej Veseloff) kümmert sich um die deutsche Version von bogoslov.ru (Moskauer Patriarchat). Und dann gibt es noch Thomas Brodehls besonders schöne und hilfreiche website www.orthodoxie-in-Deutschland.de. Weiterhin hilft ein Grieche, Christos Tagarakis, bei der Edition der deutschen website des Athos-Klosters Vatopedi. Es finden sich weiterhin lokale Initiativen (u.a. einige kirchliche websites), nicht nur von deutschen, auch von serbischen, griechischen, russischen Priestern. Vater Johannes Nothhaas in Mainz führt seit vielen Jahren eine rein deutschsprachige Gemeinde, in der sich orthodoxe Christen aus vielen Herkunftsländern gemeinsam mit deutschen Konvertiten zusammenfinden. Er organisiert auch geistliche Seminare in deutscher Sprache.

 

Von solchen durchweg deutsch sprechenden Gemeinden kenne ich in ganz Deutschland lediglich vier. Manche deutschen Konvertiten fühlen sich besonders wohl bei ebenfalls konvertierten Priestern. Aber mir scheint, daß im Moment ein gegenseitiger Austausch immer noch sehr wichtig ist. Die meisten konvertierten deutschen Priester studierten zunächst an nicht-orthodoxen Theologie-Fakultäten. Erst nachträglich fügten sie eine orthodoxe „Weiterbildung“ hinzu. Darum trägt ihre Wahrnehmung der Orthodoxie oft noch Spuren ihrer Herkunfts-Theologien. Genau diese Spuren aber wollen einige deutsche Konvertiten hinter sich lassen. Andererseits sind selbst für eingewanderte orthodoxe Gläubige solche deutschen Priester oft sehr hilfreich, besonders wenn diese neuen Bürger gleichfalls neu in der Orthodoxie sind. Sie begegnen psychologischem Einfühlungsvermögen, leichterer Zugänglichkeit, und jenem Verzicht auf Autoritätsansprüche, die für westliche Menschenbildung charakteristisch ist. All das  hilft vielen, ihre geistlichen Kräfte zu sammeln.

 

RtE: Cornelia, in jeder Kultur scheint es etwas ganz Eigenes zu geben, was besondere Nähe zur orthodoxen Tradition hat. Was finden Deutsche attraktiv an der Orthodoxie?

 

Sie stellen hier zwei sehr unterschiedliche Fragen. Lassen Sie mich mit der zweiten beginnen und mit den herrschenden Konfessionen. Wie überall anderswo, spüren die eher traditionsverbundenen Christen, dass sie etwas verloren haben, was die Orthodoxie noch bewahrt. Die Christen römischer Orientierung wollen mit uns über eine Union reden. Sie haben sogar in Deutschland ein Kloster eingerichtet, in dem die Chrysostomos-Liturgie gefeiert wird (abgesehen von den üblichenAbweichungen,, wie z.B. daß ein Papst kommemoriert und das filioque bekannt wird). So können jene Nicht-Orthodoxen, die eine rituelle Kultur und Schönheit lieben, zu diesem Kloster fahren, sie  brauchen keine echte orthodoxe Kirche zu besuchen. Die deutschen Protestanten dagegen, zumindest bis zur jüngsten Abkühlung der Beziehungen (als eine geschiedene Frau zur Bischöfin und zum Haupt ihrer Körperschaft gekürt wurde), pflegten ihre speziellen eigenen Gespräche mit den Orthodoxen. Auch fanden einige protestantische Theologie-Professoren zur Orthodoxie, und brachten das große Opfer eines Verzichts auf die ihnen sonst zustehenden Alters-Bezüge. Beide Konfessionen haben aus Liebe zur Orthodoxie stets mit viel Enthusiasmus und Barmherzigkeit großzügige Unterstützung gewährt, nicht nur durch die Bereitstellung von Kirchräumen in Deutschland, sondern auch in orthodoxen Ländern, wo sie ganze Sozialdienste mit aufgebaut haben, – all das natürlich zu Bedingungen eines gewissen ökumenistischen Entgegenkommens. Es wird erwartet, daß die orthodoxen Nutznießer dieser Hilfen in keiner erkennbaren Weise missionieren, d.h. evangelische oder Rom-orientierte Christen zur Wahrheit in der einen Kirche führen. Das ist ein großes und bitteres Thema, aber es gehört in die Verantwortung der Bischöfe.

 

Dann gibt es noch die normalen Menschen in meinem Bekanntenkreis, die sich eher locker christlich orientieren.  Als ich mich damals der Orthodoxie zuwandte, wurde ich von meinen evangelischen Freunden, auch von befreundeten Pfarrern, verdächtigt, es gehe mir nur um das Schwelgen in schöner Musik, bunten Bildern, süßem Weihrauch und  um die eindrucksvoll langen weißen Bärte. Viele Deutsche haben (sogar in ihren Gebetsstätten) Ikonen an den Wänden hängen, und sie hören orthodoxe Musik auf CD. Sie besuchen Konzerte mit orthodoxer Kirchenmusik. Ihre Sehnsucht nach Schönheit berührt ihr Herz. Aber sie neigen dazu, ihr Herz zu verleugnen. So nehmen siedie Schönheit der Kirche bloß als rein ästhetisch Erlebbares wahr, wollen sich nicht “zu Herzen nehmen”, was ihnen dort begegnet. Ihnen fehlen die Begriffe, um Gefühle von noetischer Erfahrung zu unterscheiden. Und sie sind alle Opfer der herrschenden Ideologie, die die Orthodoxie nur als geschlechterdiskriminierend, patriarchal, homophob, undemokratisch, und unaufgeklärt wahrnimmt. Diese Ideologie versperrt ihnen den Zugang zur geistlichen Bedeutung der Unterschiede zwischen den Geschlechtern und ihrer liebenden Verbundenheit, zur Väterlichkeit Gottes als Vorbild aller menschlichen Väterlichkeit, zu den Risiken der demokratischen Gleichheits-Versessenheit und zu den Hindernissen Nachteilen, die eine Kultur der Aufklärung dem Leben der Kirche in den Weg legt. Außerdem glauben viele Deutsche, in den orthodoxen Kirchen wimmele es immer noch von Agenten des Geheimdienstes, oder zumindest von Leuten, die mit Kommunisten kollaboriert haben.

 

Ungeachtet all dieser Schwierigkeiten, kommen manche zur Orthodoxie, weil sie durch dramatische Erfahrungen buchstäblich aus ihrer sozialen Umgebung herausgerissen wurden, , und weil sie einen fürsorglichen Priester fanden. Einige heiraten orthodoxe Ehepartner, deren (manchmal) glühender Glaube sie in die Kirche zieht. Einige lassen sich inspirieren von ökumenischen Orten wie Chambésy, um sich dann schrittweise den Weg in die Orthodoxie zu bahnen. Es gibt auch einige wenige protestantische Theologie-Studenten, die die Probleme bei der apostolischen Sukzession ernst nehmen. Wenn sie gesegnet sind mit Augen zum Sehen und Ohren zum Hören (wie mein Freund Matthias Zierenberg, der Zimmermann wurde), können sie ganze Großfamilien bekehren. Eigentlich sollten viel mehr evangelische Christen sich über den Kontrast zwischen der Heiligen Schrift und der Verkündigung in ihren Gemeinden wundern. Mich hatte das damals sehr beunruhigt: die Evangelientexte, die mich wie “Feuer und Schwert” trafen, während ich den Kindergottesdienst vorbereitete, im Vergleich zu dem, was von dieser Gewalt des lebendigen Wortes in der Predigt übrigblieb (eine äußerst dünne Suppe, in der ein uralt historisches Huhn wieder und wieder aufgekocht wurde). Wie auch immer: es kommt vor, daß einige ganz stille westliche Christen irgendwie in ein oder zwei Gottesdienste geraten und dann einfach dableiben, – ein Wunder! Ich fürchte, Ihnen mit alledem keine sehr gute Antwort geben zu können. Ich kenne so wenige deutsche Konvertiten.
In der eigenen Familie war meine Tochter beeindruckt von meinem katechetischen Lehrer, Janis, einem Griechen in Offenbach. Der aber verließ uns, gerade als die beiden sich angefreundet hatten, um in einem griechischen Kloster als Vater. Hilarion Mönch zu werden. Hier hatte sie endlich einmal jemanden gefunden, der „lebte“, wovon er redete. Sie selbst wurde dann nach Jahren des tapfer ertragenen Wartens von Vater. Basilius in der Lahn getauft. Mein Mann, dessen Erfahrung mit dem amerikanischen Presbyterianismus ihn stets auf kritischer Distanz gehalten hatte zum schwächlichen Protestantismus unserer örtlichen Gemeinde, ertrug geduldig die Turbulenzen, die eine rückhaltslos entflammte (und rücksichtslos davon-konvertierende) Ehefrau in das Familienleben brachte.  Ganz langsam, über die Jahre hinweg, akzeptierte er, daß die Ansichten, die in den Gesprächen zwischen den Engelhardts und mir zur Sprache kamen (zwar nervtötend, aber dennoch) korrekt sind. Er wurde dann „Grieche“, d.h. in einem griechischen Kloster in Texas getauft. Meine Mutter erlebte die Orthodoxie durch unsere liebende Fürsorge während der letzten drei Jahre ihres Lebens, die sie in einer Nachbarwohnung zubrachte. Sie hatte immer schon die orthodoxen Gesänge geliebt, jetzt sehnte sie sich nach einem Beichtvater. Sie wurde von Vater Basilius in unserem Haus getauft, als sie bereits bettlägerig war. Dies geschah am Tag der Geburt Christi (nach dem neuem Kalender). Und dann stand ihr Sarg am 2. Februar, dem Festtag der Darstellung Christi im Tempel in der Mitte der Kirche . Darüber staune ich immer noch.
So viel zu den erforderlichen Wundern. Was nun aber das Ethos angeht, das die Deutschen in die Orthodoxie einbringen könnten, wenn sie doch einmal in größerer Zahl sich bekehren wollten, so muss ich an das Wort des heiligen Justin (Popovic) denken. Der meinte, es sei ziemlich schwierig, die Deutschen zu bekehren, aber wenn es gelingt, dann könnten sie, weil sie gewohnt sind, auf ihren Glauben hin auch zu handeln, ganz Europa zurück zu Christus bringen. Eine schöne Vision! Alles, was wir benötigen, wäre, dass Gott die typisch deutsche Effizienz, Ernsthaftigkeit, Dienstbereitschaft und Zielstrebigkeit heiligt In den Kirchen, die ich kenne, kümmern sich Deutsche vorbildlich um das Gebäude, sie singen, verkaufen Kerzen, helfen bei der Trapeza, und sind zuverlässige Organisatoren. Man darf auch die deutschen, nicht-orthodoxen Theologen nicht vergessen, an die Vater Basilius mich immer erinnert: Sie haben mit Mühe und Liebe die gelehrten Editionen und Übersetzungen patristischer Texte erarbeitet, von denen wir Orthodoxen nun profitieren.. Deutsche Konvertiten könnten, wenn sie nur erst einmal von der Versuchung zur Selbstgerechtigkeit befreit sind, ihre moralische Integrität in einen wahren Segen für die Kirche verwandeln.

 

Es ist natürlich verlockend, Ihre Frage nach dem, was deutsche Christen in die Orthodoxie einbringen könnten, als einen Versuch zu verstehen, uns auf eine wirksamer missionarische Methode hinzuweisen: “Hey, ihr deutschen Konvertiten: hört mal auf zu jammern, dass Eure Mitmenschen die Orthodoxie nicht annehmen. Lieber solltet ihr sie einladen, an der besseren Umsetzung des Glaubens mitzuwirken”. Ja, das wäre eine Lockspeise. Das Problem ist aber, dass jeder, der sich in die Orthodoxie hineinbegibt, zuallererst einmal selbst von Grund auf umgewandelt werden muß. Nur auf der Grundlage einer solchen Verwandlung können unsere Talente, statt zerstörerisch zu wirken, nutzbar werden.

 

RtE: Können Sie als ehemalige deutsche Lutheranerin auch etwas sagen über die Schwierigkeiten, zur Orthodoxie zu kommen?

 

   Cornelia: Unsere protestantische Kultur betont die Gleichheit. Die Orthodoxie lehrt uns, Unterschiede zu beachten. Als Protestantin war ich gewohnt, mich als ebenbürtig zu betrachten mit Pastoren; als orthodoxe Christin vergesse ich nie, dass ein Priester geheiligt ist durch seine Befähigung, die Liturgie zu feiern und das unblutige Opfer darzubringen. So begegne ich Priestern, auch wenn ich herzlich mit ihnen befreundet bin,  nicht einfach als netten Mitmenschen, sondern ehre ihren besonderen Dienst. Das gilt in noch höherem Maß für Bischöfe.

 

Ein anderer wichtiger Unterschied betrifft die Geduld. Deutsche Protestanten sind ziemlich gut organisiert. Alle arbeiten hart daran, niemanden warten zu lassen, – das gilt als Zeichen höflicher Menschenliebe. Im Ergebnis werden sie dann allesamt aber schrecklich ungeduldig, wenn sie selbst gezwungen sind, auf andere zu warten. In orthodoxen Kirchen gibt es eine fast triumphierende Leidens-Bereitschaft in dieser Hinsicht. Wenn zum Beispiel eine Beichte, die noch kurz vor der heiligen Eucharistie eingeschoben wird, mittlere Ewigkeiten dauert, weil da irgendein verborgenes Problem plötzlich aufgebrochen ist, dann singt halt der Chor geduldig Hymne auf Hymne, und die Gläubigen stehen ganz still, beten vor sich hin, halten die Kinder einigermaßen unter Kontrolle und verstehen, daß der Priester jetzt Zeit braucht für einen der ihren. Auf Bischöfe wartet man sowieso fast immer. Wir warten nach der Liturgie auf Bischof oder Priester, damit er die Speisen für das Liebesmahl segnet, und der Priester wartet auf Leute, die unbedingt einen Termin für die Taufe eines Kindes haben wollten, dann aber doch nicht kommen, oder einige Studen zu spät. Die Orthodoxen wissen, dass Gottes Wille in jeden beliebigen Aspekt unseres Lebens eindringt, auch in das Wartenmüssen, und daß Geduld eine geistliche Tugend ist.

 

Dann ist da der Gehorsam, eine harte Nuss für Protestanten. Deren besseres Ego wurde ja zwei Jahrhunderte lang sozusagen zwangsernährt durch ein Kantisches Bewußtsein ihrer Menschenwürde (die sich auf eine vermeintliche “Autonomie” einer vermeintlich universalen Vernunftfähigkeit jedes Menschen stützen soll). Auch das in unserer Kultur gepflegte Bedürfnis nach Authentizität, Individualität, Originalität, Kreativität ist ein Hindernis. Ein Möchtegern-Orthodoxer muß solche “Grundwerte” unserer Gesellschaft zeitweise über Bord werfen. Wenn er bereit ist,  sich zu demütigen, wird er zu seiner Überraschung finden, daß Christus Selbst in Seinen Nachfolgern für Authentizität, Individualität, Originalität und Kreativität sorgt. Dann tritt Christus an die erste Stelle, und die Sorge um das liebe Ich wird nachrangig.

 

Nun ist überdies die ganze protestantische Mentalität in Deutschland in den letzten zwei Jahrhunderten theologisch abgestumpft. Das begann mit der Aufklärung, die das Christentum zur Morallehre reduzierte und für das Frömmigkeitsbedürfnis eine kulturelle Vielfalt im Sinne Schleiermachers vorsah. Es endete mit einer anti-religiösen, rein existentiellen Neuauflage bei Kierkegaard und Bultmann[3]. All diese Visionen missachten  die vielen Zeichen, durch die uns Gott seiner persönlichen Zuwendung versichert. Sie mißachten Gottes unfaßbare Herablassung zu uns Menschen, Seine Bereitschaft, mit den für Ihn empfänglichen Menschen persönlich zu reden (man denke nur an Moses, oder Elias oder Jonas), Sein Volk, und durch Christus alle Menschen, für die Gemeinschaft mit Sich Selbst zu erziehen, sich Menschen gegenüber zu offenbaren, so wie diese es je und je fassen konnten. Diese schönen Visionen mißachten insbesondere Gottes Bereitschaft, schließlich, Selbst unsere Natur anzunehmen, einer von uns zu werden, in unsere Geschichte einzugehen in der Besonderheit einer ganz bestimmten Zeit und Örtlichkeit. Da ist überhaupt der Sinn verlorengegangen für die volle Selbst-Hingabe des Einen, Der über allem ist, Der Sich für alle erreichbar machte, Der uns Seine Liebe schenkt, um uns in diese Liebe einzubeziehen, wenn wir Ihm nur aus ganzem Herzen antworten wollten Die westliche Theologen haben sich stattdessen damit begnügt, Gott philosophisch an Seine äußerste Transzendenz zu binden. Sie sind taub geworden dafür, dass Er eine Gottheit in Drei Personen ist, Die jeden persönlich anzusprechen möchte. Zudem wurde jene Unterordnung der Christentümer unter die Belange des Staats, von der schon oben die Rede war, noch verstärkt vom Ökumenismus des 20. Jahrhunderts. Diese Ideologie wird angepriesen als Bedingung für eine stärker vereinheitlichte, und damit angeblich wirksamere Präsenz des Christentums in einer zunehmend säkularisierten Welt. Ein quer durch die Glaubensrichtungen bekräftigtes Bemühen um Frieden, Ökologie und soziale Gerechtigkeit soll größeren politischen Einfluß sichern. Dieser  Ökumenismus hat natürlich den Preis einer Trivialisierung dogmatischer Inhalte, und damit wiederum einer größeren Gleichgültigkeit hinsichtlich der rechten Weise, Gott anzubeten.

 

Ich könnte mit meinen Erklärungsversuchen immer weitermachen – und trotzdem reichen all diese Faktoren nicht hin um begreiflich zu machen, warum die Menschen, die mir außerhalb der Kirche begegnen, und mit denen ich zum Teil seit Jahrzeihnten befreundet bin, auch dann nicht Zuflucht zum Gebet suchen, wenn ihr Leben in Trümmern liegt. Manche beten tatsächlich, aber ohne wirkliche Reue. Ich gebe natürlich auch zu, dass eine Konversion zur Orthodoxie Deutschen gewisse Opfer auferlegt. Als ich mich der Orthodoxie zuwandte, und plötzlich eine völlig neue Sichtweise annahm, verlor ich fast mein ganzes soziales Umfeld. Europäische Länder sind im Vergleich zu Amerika sehr homogen in ihrer Einstellung zum Leben. Wer hier versucht, Gott ernst zu nehmen, findet sich sofort aus der “besseren Gesellschaft” ausgeschlossen und wird als „Fundamentalist“ mit einigem Mißtrauen betrachtet. Für mich war dieser Verlust unproblematisch, weil Philosophen kein groß soziales Leben brauchen. Mein Mann bevorzugt sowieso unsere private Zweisamkeit, und Susan Engelhardt (die meine Taufpatin wurde) hielt über ein Jahr lang mit mir wöchentlichen Telephonkontakt, um mich vor den  erstbesten Fallen zu bewahren. Aber wie viele Menschen genießen solche Privilegien! In einer Bibel-Studiengruppe, die ich auf Bitten eines Priesters  , der (von polnischen Uniaten geschult) die Kirchenväter liebt, sieben Jahre lang leitete, geschah es zuweilen, dass jemand in Tränen ausbrach, wenn ich von der Orthodoxie erzählte. Dann kam so etwas wie: „Das genau ist es, wonach ich mich immer sehnte“. Aber hinterher – leben sie weiter in ihrer Ortschaft, fest verwurzelt im lokalen westlichen Christentum. Orthodoxe Kirchen sind mindestens 30 Minuten Auto-Fahrweg entfernt (das ist nach deutschem Standard viel), und diese Kirchen zelebrieren in unergründlichen Sprachen. All die Leute, die hierzulande nicht ganz und gar „religiös unmusikalisch“ sind, finden sich in Gemeinden eingebettet, die ihr soziales Alltagsleben stützen. Und diese Gemeinden verkünden überdies, daß wir alle sowieso in den Himmel kommen. Eine weitere Schwierigkeit liegt also im Säkularismus, der sogar „christliche“ Milieus durchsetzt. Zwei Frauengruppen, die aus meinen Jahren der Theaterarbeit als Freundeskreise geblieben sind, haben den Kontakt zu mir trotz meiner seltsamen neuen Ansichten nicht aufgegeben. Wenn wir uns treffen, , muss ich ganz still ihre Geschichten anhören über die verschiedenen Partner ihrer Kinder, über die netten europäisierten Mohammedaner als Ehepartner der Kinder, über homosexuelles Erwachen bei der eigenen Jugend, über eigene Scheidungen mitsamt nachfolgenden neuen Partnerschaften. Einmal wurde ich sogar um einen Tischsegen gebeten, sollte dabei aber nicht Gott, sondern “Göttin” anrufen. Sie wissen alle, was ich glaube, aber das gilt als Kuriosität, die sie  freundlich tolerieren , weil sie mich mögen. Die wenigen wirklichen Freunde, die ich an jedem Schritt meines Übergangs zur Orthodoxie teilhaben ließ, sind niemals mitgekommen. Immerhin hat meine beste Freundin, die Frau meines früheren Pastors, mich um Rat gefragt, ob sie für ihr Endstadium Krebs jene „Heiler“ in Anspruch nehmen solle,  die ihre esoterisch gesinnten Schwestern empfahlen. Meinen plötzlichen Tränen-Ausbruch hat sie richtig verstanden und von diesen „Heilern“ Abstand genommen.

 

Aber dann gibt es immer noch die Gebete von Vater Basilius und seiner Bruderschaft, und das hält mich aufrecht. Immer mehr Deutsche kommen zu seiner Skite, und seine Gebete werden sicherlich ihre wunderbare Wirkung tun.

 

RtE: Als ich vor einigen Jahren hierher kam, hatte ich den Eindruck, dass der Zweite Weltkrieg das Christentum geschwächt hat, dass er faktisch den Glauben der Menschen zerstörte. Hitler lenkte den Glauben der Deutschen um auf den Staat und auf sich selbst, und als dann dieser Glaube und das Land besiegt waren, projizierten sie ihre extreme Enttäuschung auf den Gottesglauben, und zwar für sich persönlich ebenso wie auch in Bezug auf die institutionelle Kirche.

 

  Cornelia: In einer Hinsicht glaube ich das nicht wirklich. Es wäre eine zu leichte Ausflucht, die zwölf Jahre von Hitlers “tausendjährigem Reich“ verantwortlich zu machen. Sicher war Hitler ein Schock für viele gutwillige Deutsche, und natürlich fühlten sie sich betrogen. Aber die eher traditionellen Christen haben sich nicht täuschen lassen. Viel mehr Parteimitglieder gab es im protestantischen Milieu. Der reformierte und unierte Protestantismus war schon vor 1933 schwach. Außerdem waren nach dem Krieg und bis in das Wirtschaftswunder der fünfziger Jahre hinein die Gebetshäuser in Deutschland durchaus voll.

 

Indirekt allerdings habe Sie vielleicht doch auch wieder recht: Als in den sechziger Jahren die Generation der Söhne begann, die Einbindung der Väter und Professoren in den Nazismus zu benutzen, um generell alle väterliche oder berufliche Autorität und Hierarchie an den Pranger zu stellen, und als eine neue Kultur des liberalen Hedonismus zur Geltung kam, wurde das Christentum angegriffen, es habe unter Hitler versagt. Damals verwandelte sich im Bewußtsein einer neuen Generation das, was früher noch als “Kirche” geglaubt wurde, in eine rein menschliche, politische und soziale Institution. Das Vaticanum II schwächte ganz entscheidend die noch verbliebenen liturgischen Ressourcen. Darüber hinaus schienen sogar für jene, die ihr Christentum noch ernst nahmen, die Erfahrung mit dem Nazismus dem Ruf nach ökumenischer Vereinigung recht zu geben, besonders in den zunächst noch getrennten Protestantismen. Die „Barmer Erklärung“ von 1934, die eine Art christlicher Ehrenrettung darstellte, war ja aus einer Konferenz hervorgegangen, in der sich die verschiedenen protestantischen Bekenntnisse zum Widerstand gegen die Herrschaft des Bösen vereinigten. Nach dem Krieg inspirierte diese Erfahrung innerprotestantischer Zusammenarbeit all jene, denen es um wirksamere gesellschaftliche Präsenz ging, eine Vereinigung der verschienenen evangelischen Bekenntnisse zu forcieren. Mit der Leuenburger Konkordie von 1971 wurde gemeinschaftliche Eucharistie und Inter-Zelebration  lutheranischer und reformierter Pastoren zur Regel. Die tiefen Unvereinbarkeiten dieser Glaubensrichtungen blieben unberücksichtigt, und dies gewöhnte die evangelischen Christen im Nachkriegsdeutschland daran, ihr eigenes je spezifisches Glaubensbekenntnis nicht mehr so unbedingt als verpflichtend und Heils-relevant ernst zu nehmen.[4].
RtE: Wie denken Sie über einen wahrhaften ökumenischen Dialog, ohne irgendwelche Kompromisse?

Manche meinen, Dialoge seien ein guter Weg, um eine Art äußeren Frieden zwischen all jenen zu sichern, die verschieden denken, glauben, und werten. Das Problem ist jedoch, dass diese Dialoge oft das Ziel einer Einheit in der moralischen und geistlichen Außenwirkung verfolgen, die wiederum nur auf Kosten einer Trivialisierung der kirchlichen Lehre zu haben ist. Und selbst wenn die Dialoge nicht dieses Ziel verfolgen, so verführt doch bereits die Teilnahme am Gespräch mit Vertretern anderer Glaubensrichtungen zu einer allmählichen Anpassung der Terminologien und der Art und Weise, an Probleme heranzugehen. Solche Anpassungen beeinträchtigen dann wiederum die Klarheit, mit der die orthodoxen Teilnehmer ihre Formulierungen an der Tradition ausrichten. Die Lehre der Kirche ist ja keine exotische Wissenschaft für ausgewählte Intellektuelle. Vielmehr gewährt diese Lehre, ebenso wie die Gebete der Kirche, die Worte der Heiligen und die Schriften der großen Kirchenlehrer, eine heilsame Orientierung für unser Streben und Sehnen nach dem richtigen Pfad zur Verherrlichung Gottes. Darum öffnet jeder noch so kleine Verlust an Klarheit des Bekenntnisses zur Tradition eine Bresche für häretische Verzerrungen, die sich auf unser praktisches Leben auswirken. Christus meinte es sicherlich ernst, als er davon sprach, es dürfe „nicht ein Jota” von den geschenkten Offenbarungen abgewichen werden. Viele unserer Heiligen, wie zum Beispiel Maximos der Bekenner, fochten und litten für das “Jota”, also diesen kleinen “i-” Strich, der im Verhältnis zwischen Gott Vater und Gott dem Sohn das (richtige) homoousios vom homoiousios scheidet, also beider wesensgleiche Natur von beider bloß ähnlichen Natur.

 

RtE: Würde für Orthodoxe ein wahrhafter Dialog nicht zuallererst Klarheit verlangen über das, woran jede beteiligte christliche Gruppierung in Wahrheit glaubt, worin wir übereinstimmen oder uns unterscheiden? Und erst danach den Orthodoxen Glauben bezüglich der Unterschiede vortragen, in der Hoffnung, dass der Heilige Geist die anderen Teilnehmer schließlich inspirieren wird, seine Wahrheit anzunehmen?
Schön,, wie Sie sich das vorstellen. Aber wir müssen sehr vorsichtig sein. Wo auch immer ich “Dialoge” zwischen Vertretern verschiedener christlicher Bekenntnissen sehe, finde ich den Verdacht bestätigt, daß das enge, auf Verständigung angelegte, Gesprächs-Miteinander der Teilnehmer Versuchungen mit sich bringt: Um der menschlichen Nähe und Gemeinsamkeit willen neigt man dazu, die eigene Position abzuschwächen, und ein aufrechtes Bekenntnis der Wahrheit zu vermeiden. Es gibt da eine erschreckende Kraft menschlicher Sympathie, die dazu verführt, miteinander übereinzustimmen zu wollen. Wenn man drei Tage gemeinsam gearbeitet, gegessen, schöne Ausflüge gemacht hat, dann fällt es unheimlich schwer, den uns menschlich so vertraut Gewordenen in aller Liebe zu sagen, daß ihr Glaube leider auf Häresien beruht, die sie ablegen sollten. Wir verhalten uns dann wie schlechte Ärzte, die davor zurückschrecken, den Patienten mit einer klaren Diagnose zu schockieren. Solche vermeintlich mitleidigen Therapeuten rauben dem Patienten die chance, die einzig vielversprechende, wenn auch sehr schmerzhafte Therapie anzunehmen. Beim Schreiben hingegen ist jeder allein. Er bleibt sich bewußt, wem seine erste Treue gelten muß. Er kann klar sagen, welche Wahrheit gelten soll.

 

Eben dieses Ziel der Klarheit im Miteinander mit Christen anderer Glaubensorientierung verfolgt ja auch die Zeitschrift Christian Bioethics, die Herman Engelhardt gegründet hat und an der ich als Herausgeber mitarbeite. Unser Untertitel lautet non-ecumenical studies in medical morality. Wir laden Theologen aller christlichen Konfessionen ein, ihre je eigenen theologischen Quellen auszuwerten und darzulegen, wie sie ihre Schlussfolgerungen zu bestimmten bioethischen Problemen herleiten. Die Klarheit, welche eine solche gestufte Methode bietet, schützt wirksam gegen vorschnelles Ökumenisieren.

 

Die wirkliche Einheit aller Christen, nach der wir uns alle sehnen, hängt allein vom Heiligen Geist ab. Um Ihn Selbst einzuladen, müssen wir das rein akademische Spielfeld verlassen. Mein eigenes Wachsen in die Orthodoxie hinein, gerade auch durch das Studium der deutschen Heiligen und Reliquien, hat mir (als Ex-Protestanten) eine ganz neue Dimension eröffnet. Die Erfahrung der Verehrung von Reliquien bei den Mönchen der Skite hat mein Interesse an den Heiligen allererst geweckt. Diese Heiligen sind lebendig und bereit, uns in unseren Kämpfen zu stärken. Erst sehr viel später verstand ich, was meine Taufpatin Susan schon früh geraten hatte, als sie versuchte, mein theologisches Theoretisieren zu bändigen: das Lesen der „Leben“ unserer Heiligen ist ein guter Weg, um wahrhaft “Theologie zu lernen“. Irgendwann wurde ich gebeten, eine Reihe von Gesprächen in der Orthodoxen Kirche in Bad Nauheim zu organisieren, wo das eingeladene Publikum überwiegend nicht-orthodox sein würde. Hier wollte ich nun genau dieses Problem der Verehrung von Heiligen und Reliquien aufgreifen. Bei der Vorbereitung der Gesprächsreihe stellte ich fest, dass wir ohne die Einsichten des Heiligen. Gregor Palamas im 14. Jahrhundert zu den göttlichen Energien die Heiligkeit der Reliquien gar nicht richtig wahrnehmen können.[5] Die westliche Theologie hat diese Lehre nie akzeptiert. So blieb ihr die Realität einer „noetischen“ Mystik verschlossen, von der schon der Heilige Johannes der Evangelist (1. Joh. 3,2) und sogar schon König David in den Psalmen handelt. Diese Mystik ist weit entfernt von jenem „emotionalen“ Mystizismus westlicher Denker, etwa bei Meister Eckhardt, der die Heiligkeit nur zur frommen Gefühlssache macht. Weil im Westen das noetische Wissen als Quelle der Theologie aus dem Blick geriet, wurde das Christentum dort wehrlos gegenüber der Kritik der Aufklärung, die die philosophischen Rationalitätsansprüche der Scholastik (also das westliche Ersatz-Angebot für noetische Erfahrung) mit Vergnügen auseinandernahm. Es sind, wie mir scheint, die Ablehnung der Lehre von den göttlichen ungeschaffenen Energien, und die Mißachtung der Fähigkeit der menschlichen Seele, die Gnade dieser Energien als göttliche Mitteilung anzunehmen, die dazu geführt haben, daß sogar in dem an Rom orientierten Christentum das Interesse an an den noch vorhandenen Heiligtümern geschwunden ist. Orthodoxe Christen, auch wenn sie ganz ungebildet sind und weder von der Lehre des Heiligen Gregor Palamas noch von der noetischen Erkenntnis eine Ahnung haben, werden getragen vom noetischen Gebetsleben einer Kirche, deren Integrität durch zwei Jahrtausende treu bewahrt wurde.

 

Kommen wir also zurück zur wahrhaften Ökumene: Wenn wir über Reliquien sprechen und sie besuchen, so kommen wir in Kontakt mit heterodoxen Geistlichen, Gemeindesekretären, Küstern – mit vielen frommen Leuten. Es ist oft eine bewegende Erfahrung für sie zu sehen, wie sehr wir Orthodoxen die Reliquien jener Heiligen lieben und verehren, die uns gemeinsam heilig sind. Sie selbst wagen eine solche Verehrung oftmals gar nicht mehr, wenn man von gelegentlichen äußerlichen Präsentationen einmal absieht. Es ist unser Dienst der Liebe, unseren Mitchristen außerhalb der Kirche zu zeigen, wie diese Heiligen uns zusammenhalten, und dass die Hoffnung auf unsere erneute Einigung in der Kirche des 1. Jahrtausends begründet liegt. Ein ökumenischer Zweck stand, nebenbei gesagt, auch hinter der Bibel-Studiengruppe, die ich oben erwähnte. Immer zwei Mal im Monat konnte ich diesen sehr engagierten nicht-orthodoxen Christen patristische Auslegungen für ihre Sonntagslesungen anbieten. Diese gemeinsamen Entdeckungsreisen in das vierte Jahrhundert eines Heiligen Johannes Chrysostomos, eines Basilius oder eines der verschiedenen Gregore ergaben eine wunderbare Lernerfahrung für uns alle (und natürlich kann man immer auch ein paar Väter des zwanzigsten Jahrhunderts beimischen, um zu zeigen, dass die Tradition lebendig ist).

 

RtE: Sprechen Sie auch mit orthodoxen Christen über die früheren Traditionen und Heiligtümer in Deutschland?

 

Cornelia: Ja. Ich möchte die eingewanderten Orthodoxen, die sich hier zunächst als Fremde und in der Fremde wahrnehmen, aufmerksam machen auf die Tatsache, dass sie hier in Deutschland tatsächlich ein geistliches Zuhause finden können. Deutschland war ursprünglich ein orthodoxes Land, so wie das ganze christliche Europa. Natürlich kann man diese Orthodoxie im Untergrund unserer Geschichte nur zutage fördern, wenn man  den verzerrenden Schleier beiseiteschiebt, den die geschriebene (nicht-orthodoxe) Geschichte über jene Frühzeit des Christentums hier gelegt hat. Man muß auf die frühen Quellen zurückgreifen. Dort entfaltet sich plötzlich ein ganz anderer Horizont: Wir erkennen, wie viel griechische und syrische Glaubens-Weisheit nach Trier gelangte (der wichtigsten kaiserlichen Residenz und später einer der wichtigsten Ausgangsstationen für die frühe Mission des mittleren Westdeutschland. Trier stand in engen Handelsbeziehungen zu Lyon, der ersten christlichen Diözese im römischen Gallien, und nach Trier wurden Missionare aus Aquitanien und Irland geschickt, die wiederum Verbindungen zu den frühen Klöstern (wie Marmoutier und Lérins) herstellten. Die Gründer dieser Klöster aber waren selbst noch bei den Asketen in Kappadokien, Palästina und Ägypten in der Lehre gewesen. Es gibt da eine Unmenge an Einflüssen aus dem östlichen Mittelmeerraum zu entdecken. Die großen östlichen Heiligen, zum Beispiel Antonius der Große, haben durch ihre Schüler in Frankreich und Irland bis nach Mitteleuropa hineingewirkt. Wir brauchen die Fürbitten aller Orthodoxen in diesem Land, um sowohl jene fernen Lehrer als auch unsere eigenen Heiligen dazu zu bewegen, uns durch ihre Gebete bei einer wirklichen  Re-Christianisierung Europas zu helfen.

 

RtE: Können Sie in ihrer öffentlichen Arbeit auch ansprechen, dass die orthodoxen Christen heute auf eine pluralistische, säkulare Weltanschauung stoßen, welcher sie ausgesetzt sind?

 

   Cornelia: Ja. Am eigenen Leibe habe ich erfahren, wie schwer es ist, sich dem Einfluß der Kultur der Gesellschaft, in der man lebt, zu widersetzen. Darum haben Herman Engelhardt und ich das Forum for Christian Spirituality in Culture and Bioethics (FOCS) gegründet. Wir laden orthodoxe Christen zu kleinen Gesprächstreffen in unser Haus ein, wo wir ausgewählte Texte diskutieren, so etwa den Großinquisitor von Dostojewski, den Heiligen Basilius von Caesarea Über den Heiligen Geist, aber auch die Regensburger Rede Papst Benedikts XVI. Bei diesen Treffen kommen auch weitere Themen zur Sprache, wie der Begriff der Sünde in der Bioethik, oder das Verhältnis von Staat und Kirche in orthodoxer Perspektive, usw. In jedem Fall versuchen wir die Weise zu bestimmen, in der die Orthodoxie uns Orientierung gewährt darüber, wie wir unsere Gesellschaft und unsere eigene Rolle darin sehen sollten, wo die grundsätzlichen Gegensätze und Konflikte zu erwarten sind und wie wir uns dem herrschenden Diskurs gegenüber zu unserem Glauben überzeugend und doch zugleich unverfälscht bekennen können. Es ist sehr wichtig für Orthodoxe, in heterodoxer, säkularisierter Umgebung, einander zu ermutigen und zu stärken.

 

RtE: Welche realistische Hoffnung haben Sie für die Zukunft der Orthodoxie in Deutschland?

 

   Nun, künftige Generationen der ethnisch Orthodoxen werden irgendwann aufhören, die Kirche als Schutz für ihre je besondere kulturelle Identität zu nutzen. Einige Deutsche müssen ja irgendwann einmal auf jene neu konvertierten oder ursprünglichen Orthodoxen aufmerksam werden, die (anstatt laut herumzuposaunen wie meinesgleichen) ihren geistlichen Vätern gehorchen indem sie sich auf ihre eigene Heiligung konzentrieren. Irgendwann muß ja an solchen Menschen die Gnade Gottes auch für jene außerhalb der Kirche sichtbar werden!. Die liberale Toleranz, die das Ethos unserer Gesellschaft durchsetzt, schafft die Illusion eines leichten und angenehmen Lebens. Das ist natürlich sehr gefährlich für all jene, die zu jeder Zeit ihren Leidenschaften gegenüber wachsam und ihrer Wahrheit in Christus gegenüber kompromisslos treu sein müssen. Zugleich bringt die Europäische Union mit ihren Vorschriften in Sachen Antidiskriminierung immer deutlichere Beschränkungen bezüglich der Bekenntnisfreiheit mit sich. Denken sie nur an die Forderungen, die europäische Menschenrechtler an Serbien stellte, damit dieses Land sich für eine Kandidatur zur Mitgliedschaft qualifiziere. Da hieß es so ungefähr „Halten Sie Ihre Hierarchen davon ab, Negatives über Homosexuelle zu sagen“…  Denken Sie auch an die Erziehung zur ökumenischen Gleichgültigkeit in allen Erziehungseinrichtungen hier in Deutschland, an die Durchsetzung einer Angleichung der Geschlechter, oder an die Einschränkung der Gewissensfreiheit für Gynäkologen, die bei ihrer pränatalen Diagnostik über die Möglichkeit von Abtreibung für möglicherweise nicht gesunde Kinder informieren müssen. Vom anderen Ende des Spektrums her werden die Mohammedaner immer sichtbarer in Deutschland; sie werden in naher Zukunft einen beträchtlichen Anteil unserer Bevölkerung stellen. Viele von ihnen wollen sich wohl im hier erhofften angenehmen, säkularisierten Leben einrichten und sich im Interesse friedlicher Koexistenz um religiöse Wahrheitsfragen nicht mehr kümmern. Aber nicht alle werden sich geistlich abstumpfen lassen. Die Stadt Frankfurt bekundete gerade jetzt (2010) ihren (unsensiblen) Einsatz für einen bunten religiösen Pluralismus durch Bewilligung des Baus einer Moschee genau gegenüber unserer Russischen Orthodoxen Kirche. Selbstverständlich werden wir alles tun, um türkische Jugendliche davon abzuhalten, weiterhin unsere Priester zu beschimpfen. Wir werden versuchen, ein friedliches Zusammenleben zu gestalten, zumal wir uns mit den Mohammedanern ja darin einig sind, Gott ernst zu nehmen. In diesem Sinne sollten wir unserem radikal und aggressiv säkularen sozialen Umfeld gemeinsam widerstehen, damit um dieser Gemeinsamkeit willen das Risiko von Konflikten vermindet werden kann. Als Christen bemühen wir uns, niemandem ein Martyrium aufzuzwingen.

 

Bei alledem vergessen wir aber auch nicht, daß es außer den Bekennern, die in rumänischen und russischen Gefängnissen litten und noch heute unter uns leben, neuerdings wiederum Märtyrer „nebenan“ gibt: Vater. Daniel Sisojev wurde im letzten November (2009) von einem bezahlten Mörder in Moskau erschossen, offenbar, weil er zu viele Mohammedaner getauft hat. Solche Heiligen geben uns ein Vorbild, das kein Orthodoxer vergessen kann. Die Orthodoxie blühte stets dort, wo Bekenner litten und Märtyrer ihr Blut vergossen.

 

Cornelia Delkeskamp-Hayes

 

(Übersetzt aus einer Überarbeitung der Autorin des englischen Interviews mit Road to Emmaus Magazine 2/2010,)

 

 

 

 

 



[1]H. Tristram Engelhardt, Jr. (getauft Herman), PhD, MD, emeritierter Prof. des Baylor College of Medecine, Prof. der

Philosophie in Rice, beides in Houston, Tx., ist weithin bekannt für seine vielen Essays, Bücher (u.a. „The Foundation

of Christian Bioethics“), Bücherserien und Zeitschriften, welche ein weites Feld umspannen von der Philosophie über

Bioethik bis zur Orthodoxen Theologie.

[2] Neuere Erhebungen sprechen von ca. 1,5 Millionen Orthodoxen, und von nur ca. 80 Millionen Einwohnern. Die Zahl der Gemeinden dürfte weiter gewachsen sein (2013, A.d.Ü.)

[3] Schleiermacher lehrte, dass das Christentum nur eine Gottes-Vision unter vielen Alternativen darstellt, deren Summe dann erst die “Ganzheit” einer unpersönlich gedachten Transzendenz umfaßt. Jede religiöse Vision wird somit ein eigenes Kunstwerk. Kierkegaard geißelte die entfremdete Art des ihm bekannten protestantischen Gottesdienstes. Für ihn sollte der wirkliche Glaube auf das authentische Innere beschränkt bleiben, das man aber nicht definieren könne, ohne seine Göttlichkeit zu verleugnen. Bultmann argumentierte, das Christentum könne sein schöpferisches Potential in den Seelen der Menschen nur dann realisieren, wenn alle “nur religiösen”, d.h. “mythologischen” Redeweisen abgelegt werden.

[4] Es gab hierzu Ausnahmen. Zum Beispiel anerkannten die Lutheraner, dass ihr Versagen unter Hitler nicht auf einen Mangel an interkonfessioneller Zusammenarbeit zurückging, sondern auf einen Mangel an Treue zur liturgischen und dogmatischen Integrität, ein Mangel an Ernsthaftigkeit im Gebet. Unglücklicherweise verloren jedoch die meisten der lutheranischen Landesverbände den Mut, den ökumenistischen Geist der sechziger Jahre zu bekämpfen. Die kleinen Gruppen, die treu blieben, erlitten das Schicksal aller Schismatiker: Unter dem Druck einer deutlichen Benachteiligung durch die Landeskirchen wurden sie immer sektiererischer im Geist. Sie ziehen heute immer weniger Theologiestudenten an.

[5] Die Scholastiker haben die ursprünglich ihnen übermittelte Theologie mystischer Offenbarung , die unmittelbar nur den durch Gott eigens auserwählten Heiligen zukam, in eine akademische Disziplin verwandelt. sie haben den “angestammten Platz” dieser Theologie vom Kloster in die Universität verlegt. Im Unterschied zu ihnen hatten die Väter der Kirche sich der götllichen Transzendenz nie im Geist philosophischer Analyse genähert. Darum konnten sie auch zugestehen, was die theologischen Philosophen des Westens als undenkbar bestritten: dass Gott Seine göttlichen Energien den Menschen sinnlich wahrnehmbar machen kann Dabei bliebe die Selbstoffenbarung Gottes natürlich auf jene Energien beschränkt und erstreckte  sich nie auf Sein unzugänglich bleibendes Wesen, zu dem die Philosophie des Westens metaphysischen Zugang zu haben behauptete. Der Hauptkonflikt betraf hierbei das Licht, das die drei auserwählten Apostel auf dem Berg Tabor sehen durften. Barlaam von Kalabrien, der Gegner des hl. Gregor, behauptete, dass dessen sinnliche Erfahrung eine Illusion gewesen sei, während der Heilige. Gregor Palamas die Lehre der Väter bekräftigte, indem er das, was die Apostel mit ihren menschlichen Augen wahrnahmen, als das Göttliche Licht Selbst beschrieb. Die Orthodoxe Tradition anerkennt also mit Dankbarkeit das Geschenk jener Gnade, das von der Göttlichen Transzendenz bis in die menschliche Immanenz hinabreicht und die Leiber der Heiligen Gottes verklärt. Spuren dieser Verklärung lassen sich daher bei den -Reliquien dieser Heiligen noch erspüren, und dies erklärt, warum durch die Wirkkraft der Reliquien so viele Wunder denen zuteil werden, die sich bereitgemacht haben, die Gnade zu empfangen.

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