Am Samstag, 19. Mai 2012 um 11.20 Uhr ging fort zu Gott der Erzpriester Ewgenij Sapronov. Der Batjuschka war 64 Jahre alt. Vr. Ewgenij erkrankte lange und schwer, ertrug eine schwierigste Operation. Viele hunderte orthodoxe Väter, Brüder und Schwestern in der ganzen Welt beteten für ein Geschenk Gottes, die Genesung unseres geliebten Lehrers und geistlichen Vaters. Dank sei Gott für alles. Besonders für die Zeit, welche gewährt wurde, uns wieder und wieder an den Batjuschka zu wenden, und durch sein wundersames geistiges Brot ernährt zu werden. Es fällt schwer, zu denken und zu schreiben in den Kategorien vergangener Zeit. Wir trauern und hoffen auf unseren Allbarmherzigen Herrn Jesus Christus.
In Brüssel ließ Batjuschka eine Witwe zurück, die Matuschka Ewgenija, und vier Söhne – Ioann, Adrian, Timofej und Gawriil – und in St. Petersburg eine schwer kranke Mutter.
Vr. Ewgenij wurde in St. Petersburg geboren, dort lernte er auch die künftige Matuschka Ewgenija kennen, die Tochter eines französischen Miltitärdiplomaten, der zu jener Zeit in der UDSSR arbeitete. Nach der kirchlichen Trauung siedelten die jungen Ehegatten zuerst nach Frankreich, später nach Deutschland über. Drei Jahre lebte Vr. Ewgenij im Kloster des heiligen, ehrwürdigen Hiob von Pocaev in München, geweiht zum Priester durch den Erzbischof von Berlin und Deutschland Mark. In der Karwoche, am Großen Donnerstag, dem 12. Mai 2012, war das 25. Jubiläum des Priesterdienstes von Vr. Ewgenij.
Wir lernten Vr. Ewgenij schon vor langer Zeit kennen, im Jahr 1992, zur Zeit seines Dienstes in der Gemeinde des Schutzes der Gottesgebärerin in Berlin. Mit bestimmter Überzeugung kann ich sagen, dass auf uns, die damals noch nicht eingekirchten Menschen, Vr. Ewgenij riesigen Einfluss hatte. Er zeigte uns eine absolut andere Welt der Orthodoxie, ganz und gar unterschiedlich von der, die wir bis dahin kannten und sahen. An erster Stelle stand diese unendliche Liebe, Geduld und Demut, mit welcher Batjuschka mit uns verkehrte. Sehr gut erinnere ich den Fall, als wir am Samstag nicht zum Abendgottesdienst kamen, und Vr. Ewgenij am selben Abend anrief und sanft fragte, ob bei uns alles in Ordnung sei, denn er machte sich Sorgen um uns, dass wir nicht in der Kirche waren. Wir wurden beschämt, dass wir den Batjuschka sich Sorgen machen ließen, und dass er genötigt wurde, zur Telefonzelle zu gehen, um uns, die Unverständigen, anzurufen. Nach diesem Vorfall flüchteten wir schon regelrecht in unsere nicht große, von Gebet erfüllte und uns so kostbare Kirche. Ich erinnere, wie Batjuschka in der ganz und gar winzigen und zum Wohnen ungeeigneten Küche unserer Wohnzimmerkirche hauste. Ich erinnere unsere Donnerstage, als wir nach den Moleben Tee tranken und kein Ende fanden mit unseren Gesprächen. Wir stellten Fragen, manchmal dumme und lächerliche. Vr. Ewgenij war ein Mensch breitester theologischer und geisteswissenschaftlicher Allgemeinbildung. Er konnte stundenlang sprechen über die Geschichte des Christentums und der Kirche, uns die Leben der Heiligen nacherzählen, Erwägungen anstellen über kirchliche Kunst und Musik. Genauso konnte er sprechen über Literatur, Architektur, allgemeine Geschichte, klassische Musik. Es ist schwer zu sagen, in welchen Geisteswissenschaften oder Künsten Vr. Ewgenij nicht eingehend, fast professionell mit den Gesprächspartnern diskutieren konnte. Nur ein Beispiel: einer unserer Gemeindemitglieder ist ein bekannter Opernsänger, und da fällt mir die Situation ein, als Batjuschka aus dem Gedächtnis mit ihm detailliert die Partie und Rolle eines Haupthelden einer wenig bekannten Oper besprach. Der Prozess autodidaktischer Weiterbildung hörte niemals auf. Eben noch auf der Fahrt zum Begräbnis nach Brüssel trafen wir eine Frau einer anderen Berliner Gemeinde, die sich mit der Verbreitung von Büchern befasst. Sie erzählte, dass Vr. Ewgenij zu Beginn der 90’er Jahre fast der einzige Priester war, der Bücher bestellte und kaufte. Der Batjuschka nötigte auch uns, unmerklich und mit Liebe, zu ernster Lektüre, und fragte oft in Gesprächen, welche Bücher wir gerade lesen, und gab Ratschläge.
Wir, die Gemeindemitglieder der Pokrov-Gemeinde, spüren bis jetzt, dass gerade in jenen Jahren unser teurer Batjuschka uns so viel Liebe und Güte schenkte, dass wir davon bis auf den heutigen Tag zehren. Tiefer Glaube, inbrünstige Reue, verbunden mit lebendiger Weisheit und echter Einfachheit – von welcher der ehrwürdige Ambrosij Optinskij sagte: „Wo es einfach zugeht, da gibt es Engel zu Hunderten“ – all dies zeichnete immer unseren Batjuschka aus. Durch die Gebete und den Eifer von Vr. Ewgenij erwuchsen aus unseren damaligen Gemeindemitgliedern zwei Priester. Dies waren Vr. Andrej Trufanov, gestorben an Herzschlag in der Nacht zum Lichten Montag der Osterwoche, in Bari im Alter von 44 Jahren, und Vr. Aleksandr Saizev, Priester aus Wiesbaden, der teilnahm an der Aussegnung seines geistlichen Vaters und Lehrers. Aus der Reihe damaliger geistlicher Kinder von Vr. Ewgenij, die buchstäblich um das Recht wetteiferten, bei Batjuschka Altardienst zu machen, wurde einer Leser. Ich denke, wenn Vr. Ewgenij sich bei uns befinden würde, wäre die Zahl größer… Nach Berlin übernahm Batjuschka seine Pflichten in vielen Gemeinden Deutschlands und Frankreichs. Zum letzten Ort seines Dienstes wurde die Kirche zum Gedächtnis des Ehrwürdigen Hiob des Vielleidenden in Brüssel, an dessen Gedenktag Gott auch unseren geduldigen und sanftmütigen Batjuschka zur ewigen Ruhe rief. Ich erinnere daran, falls es jemand nicht weiß, dass der erste Vorsteher der Brüsseler Gedächtniskirche der heilige Erzbischof Ioann Shanghaiskij war.
Gott würdigte uns, teilzunehmen am letzten Pas’cha-Gottesdienst mit Vr. Ewgenij, teilzuhaben am Heiligen und Lebensspendenden Leib und Blut Christi aus einem Kelch mit ihm, nach dem Großen Fasten mit der Familie von Vr. Ewgenij an der gemeinsamen Tafel zu sitzen, Gespräche zu führen, die ganze österliche Freude zu spüren, und sogar für eine gewisse Zeit das schwere Kreuz seiner Krankheit und des Leidens zu vergessen. Die letzte Liturgie zelebrierte Batjuschka am Sonntag, dem 13. Mai.
Die Aussegnung und das Begräbnis fanden statt am 23. Mai. Wir kamen aus Berlin in Brüssel an um 8.15 Uhr. Gingen zur Kirche. Der Sarg mit dem Leib befand sich seit Montag, 21. Mai, in der Kirche. Nach orthodoxer Tradition war das Antlitz von Batjuschka bedeckt mit einem geweihten Tuch. Auf der Brust lagen Kreuz und Evangelium. Mich beeindruckten die Hände von Vr. Ewgenij, sie waren weich. Die Liturgie wurde zelebriert durch den führenden Erzpriester und Erzbischof von Genf und Westeuropa Michail. Am Altar betete der Erzbischof von Brüssel und Belgien Simon. Bei der Aussegnung war ein Erzpriester des Patriarchats von Konstantinopel zugegen. Es kozelebrierten mit Vladika viele weitere Priester. Mit besonderem Gefühl sang der bemerkenswerte Gemeindechor. Nach der Liturgie begann die Aussegnung gemäß Priesterordnung. Viele Gottesdiener und Gemeindemitglieder weinten. Vladika Michael las das Absolutionsgebet und legte die Rolle des Gebets in die Hände von Batjuschka. Mit äußerster Sorge und Liebe beendete Vladika die letzten Vorbereitungen zum Begräbnis. Der Sarg mit dem Leib wurde unter Begräbnisgeläut auf den Katafalk gehoben. Im Automobil geleitete Erzbischof Michael, in vollem erzpriesterlichem Gewand, unseren Batjuschka zum Friedhof, wo der Begräbnisakt vollendet wurde. Der Friedhof selbst befindet sich gar nicht weit von der Kirche. Die Matuschka lud im Namen der Familie alle Anwesenden zur Gedenktafel ein. Viele kamen. Es wurde selbstverständlich über Vr. Ewgenij gesprochen. Uns früher ganz unbekannte Menschen erzählten, dass sie alle Gemeindemitglieder von Batjuschka waren, zu verschie-denen Zeiten und an verschiedenen Orten. Jetzt kamen sie nach Brüssel aus unterschiedlichen Gegenden Europas zur Bestattung im ewigen Gedenken des Erzpriesters Ewgenij. Es ging zu Gott ein Schöpfer, aber sein geistiges Werk und sein Gedächtnis wird mit uns sein bis zum Ende der Zeiten.
Über allem waltet die Vorsehung Gottes. In diesem Sinne wird auch verständlich die Verbindung des Anfangs des Priesterdienstes von Vr. Ewgenij und seine Vollendung mit dem Namen des ehrwürdigen Hiob, dem unser Batjuschka ähnlich wurde im Kampf des Langmuts und des Glaubens. Die letzte Liturgie, zelebriert von Vr. Ewgenij am Sonntag des Samariterin: im Gottesdienst dieses Tages gedenkt die Heilige Kirche des evangelischen Gesprächs des Herrn Jesus Christus mit der samaritanischen Frau. Im Evangelium dieses Sonntags wird darüber gesprochen, wie der Herr Jesus Christus durch Sein gesegnetes Wort, durch das lebendige, weise Gespräch die Seelen der Menschen neu schuf, die geistig Gefallenen aufrichtete, auf den rechten wahren Weg zurückführte die Abgeirrten von diesem Wege. So geschah der Samariterin, „das Wohlwollen Gottes erkennend“, der ihr das Wasser des Lebens reichte, und „im Übermaß trinkend das Wasser der Weisheit Gottes“, dass sie das Königreich des Himmels ererbte, und zur „Ewig Ruhmreichen“ wurde. Ins Grab gelegt wurde Batjuschka im priesterlichen Ornat, genäht von den Schwestern des Himmelfahrtsklosters auf dem Ölberg in Jerusalem. Hier schließt sich der Kreis.
„An diesem Tag werden die Engel Deinen Thron aufstellen, Richter, und Du wirst erstrahlen in der Herrlichkeit Deines Vaters, und jedem Menschen die Belohnung gewähren. O, schaue dann barmherzig auf Deinen demütigen Diener, Erzpriester Ewgenij, sag‘ ihm: ‚Komm‘ zu Meiner Rechten‘“ (Akathistos für einen Entschlafenen).
Mit den Heiligen lass‘ ruhen, Herr, den entschlafenen Erzpriester, unseren geliebten und unvergesslichen Batjuschka, Vr. Ewgenij.
Unwürdiger Diener Gottes, Leser Igor M.
Himmelfahrt des Herrn, 24.05.2012
Berlin