Die Darstellung des Herrn im Tempel und der Neugeborenen in der Kirche von π. Martinos (für den Andreasboten 2/2012)

Auch wenn bereits das Triodion (das Buch der Gesänge der vorösterlichen Fastenzeit) aus dem Regal geholt und am Vorabend des Zöllners und Pharisäers mit Segen den Kirchensängern überreicht wird, geht der liturgische Blick noch einmal zurück auf Weihnachten. 40 Tage nach der Geburt sah das mosaische Gesetz die kultische Reinigung der Mutter und die Übereignung der männlichen Erstgeburt vor (Ex. 13, 2). Männliche Tiere wurden geopfert, Menschen und wertvolle Tiere (Lasttiere) durch Ersatzopfer ausgelöst (Ex. 13, 13). Für den in der Krippe geborenen Christus konnte die Gottesmutter nur ein Armeleuteopfer bringen, ein Taubenpärchen als günstigen Ersatz für ein wertvolles, gesundes und fehlerloses Lamm, das als eigentliches Ersatzopfer für den Erstgeborenen vom Gesetz vorgesehen war (Lk. 2, 24).

Typologisch und theologisch ist das völlig anders zu betrachten. Christus braucht kein Ersatzopfer, vor allem kein Lamm, da er selbst zum Opferlamm wird. Er ist der Einzige, der nicht durch ein Tier ausgelöst wird, sondern selbst geopfert werden soll. Damit geht der Blick an diesem Fest eigentlich doch nicht mehr zurück zur Geburt, sondern genau genommen vorwärts zum Karfreitag.

Konsequent gesehen geschieht in Christus die endgültige Erfüllung des mosaischen Gesetzes. Denn dieses sieht nicht nur das Opfern oder Auslösen der männlichen Erst-Geburt vor. Christus ist nicht nur der Erstgeborene bzw. Einziggeborene sowohl des göttlichen Vaters in Seiner Gottheit als auch der Gottesmutter Maria in Seiner Menschwerdung, sondern als Bild des Vaters und Vorbild aller Menschen (1. Kor. 4, 4), als Erstgeborener von vielen Brüdern (Röm. 8, 18), als Erster der Entschlafenen (1. Kor. 15, 20; Kol. 1, 18), als Erstgeborener der ganzen Schöpfung (Kol. 1, 15), der Erstgeborene schlechthin. Seine Opferung als Erstgeborener der Menschheit erfüllt das mosaische Gesetz für alle und für immer. Es ist, als sei das Gesetz des Moses nur für Christus geschrieben worden. Auch wenn er, um der weltlichen Ordnung gerecht zu werden, durch zwei Tauben ausgelöst wird, ist er eigentlich Selbst die Auslösung aller Nachgeborenen und wird geopfert am Kreuz für das Leben der Welt.

Damit enden alle Opfer und Ersatzopfer. Heute muss niemand mehr geopfert werden (Hebr. 9, 27; 10, 12). Die Neugeborenen werden zum Heiligtum in die Kirche gebracht, Gott dargestellt und dargebracht, sie werden als Katechumenen, die sie durch die Bekreuzigung und namentliche Eintragung ins Buch des Lebens geworden sind, in die Kirche eingeführt, und dürfen und sollen nun an allen Gottesdiensten teilnehmen, vor der Taufe ausgenommen an den sakramentalen Handlungen der Kirche.

Bleibt noch der andere Zweck der mosaischen Vorschrift, die von Lukas erwähnte „vorgeschriebene Reinigung“ (Lk. 2, 22). Wenn heutzutage die Mutter nach 40 Tagen zum ersten Mal wieder zur Kirche kommt, empfängt sie der Priester am Eingang der Kirche, segnet sie und betet für sie und für ihr Kind. Vor allem soll die Mutter wieder würdig sein zur Teilnahme an der Heiligen Eucharistie, und das Kind würdig werden, zur Taufe zu gelangen, damit auch dieses an der Heiligen Eucharistie teilnehmen kann.

Auch ohne die Gebete genauer anzuschauen wird hier ein Zusammenhang hergestellt, der durchaus wert ist, genauer betrachtet zu werden: Die Mutter soll durch Segen und Gebet nach 40 Tagen zunächst gereinigt werden, bevor sie wieder am sakramentalen Leben der Gemeinde teilnehmen und zu den Göttlichen Gaben hinzutreten darf.

Dieser Zusammenhang wird in den zwei Gebeten für die Mutter konkretisiert: „Reinige deine Magd, die zu deiner heiligen Kirche kommt, von aller Sünde und von aller Befleckung, damit sie gewürdigt werde, an deinen Heiligen Mysterien (Sakramenten) teilzunehmen“. „Wasche ab ihre Befleckung des Leibes und den Schmutz der Seele bei der Vollendung der 40 Tage“. Auf den ersten Blick scheint hier eine durchaus befremdliche Bewertung der Geburt als Befleckung und Sünde vorzuliegen. Das hat den griechischen orthodoxen Professor Anastasios Kallis in seiner zweisprachigen Ausgabe des Taufritus 1998 dazu bewogen, diese Sätze wegzulassen bzw. umzuformulieren. Für das Griechische konnte er sich auf eine Vorlage von 1950 beziehen. Doch ist mit der Textkürzung und dem Ausklammern der schwierigen Begriffe keineswegs das Problem selbst aus der Welt geschafft. Denn auch ohne diese Worte spricht die Tatsache, dass eine Mutter nach 40 Tagen zur Kirche kommt, um vom Priester gesegnet zu werden, das grundsätzliche Thema an.

Aber nennen die Texte überhaupt eine Geburt „unrein“, das auf die Welt Kommen eines Kindes „Befleckung“? Ohne Zweifel lassen die Gebete eine Beziehung zum Psalm 50 assoziieren. „Denn siehe, in Unrecht wurde ich empfangen, und in Sünden begehrte mich meine Mutter“ (Ps. 50, 7)[1] Doch genau genommen wird im Psalm nichts über die Geburt als solche ausgesagt, und bemerkenswert ist, dass keines der Gebete eine direkte Anspielung auf das Psalmwort geschweige denn ein wörtliches Zitat liefert.

Während eine oberflächliche Assoziation also die Gemüter verschreckt und den Gebeten veraltete moralische Vorstellungen, die reformiert gehören, unterstellt, hebt der heilige Augustinus das Thema auf eine theologische Ebene. Er erklärt in seiner Psalmenauslegung ausdrücklich, dass es keine Sünde sei, sich mit dem Gatten zu einen, sondern in Sünden empfangen und geboren werde der Mensch, weil alles vom Fleisch Geborene dasselbe Stigma der Sterblichkeit als Strafe für die Ursünde habe. Weder der Akt der Zeugung noch der Akt der Geburt ist als solcher sündig, sondern das „Produkt“. Tragischerweise sind die Menschen trotz ihrer hohen Würde der Mitarbeit an der Schöpfung Gottes nur in der Lage, sündiges Fleisch, das unter der Strafe der Sterblichkeit und des Todes steht, hervorzubringen. Hier die Begriffe Unreinheit und Befleckung zu streichen würde ja sogar die Notwendigkeit der Taufe in Frage stellen.

Die Vorlage von 1950, auf die sich Kallis bei seiner Streichung der irritierenden Begriffe stützt, stammt vom bekanntesten griechischen Theologen überhaupt. Seine Übersetzung des Neuen Testamentes findet sich in jeder Familie, aber auch seine Handschriftenstudien für die Göttliche Liturgie sind allgemein anerkannt. Trotzdem ist die Synode der Kirche Griechenlands bei der Neubearbeitung der Riten der Sakramente vor 10 Jahren nicht den bekannten Vorschlägen Prof. Trempelas, der sich auf alte Handschriften mit kürzeren Gebeten beruft, gefolgt, sondern hat die seit Jahrhunderten gewohnten Texte beibehalten; sicherlich nicht aus Dummheit oder Ignoranz, aber aus dem Wissen heraus, dass das historisch Ältere nicht unbedingt Priorität haben muss. Veränderungen sind ein Wirken des Heiligen Geistes in Seiner lebendigen Kirche, freilich auch zeitgemäße Kürzungen.

Zeitgemäß ist es gerade, die psychische Situation der jungen Mutter in den Blick zu nehmen. Niemand sollte so naiv sein und sich eine Geburt als einen heiteren Akt vorzustellen. Die unvergleichlichen Schmerzen, die Panikattacken, die Angst vor dem Misslingen, die Scham, die gottlosen Ausrufe, die Flüche und Verwünschungen … Es soll und darf niemand schuldig gesprochen werden, zumal es nicht nur bewusste, sondern auch unbewusste Sünden gibt, aber warum sollte man hier nicht ganz allgemein von Befleckung sprechen, für die der Priester um Vergebung und Reinigung bittet, bevor die Mutter wieder zu den Heiligen Gaben tritt? Es gehört auch zur kirchlichen Weisheit, dass für diese unbewussten und ungewollten Sünden keine Beichte als Voraussetzung für die Kommunion vorgeschrieben ist, sondern klugerweise nur einfache Reinigungsgebete. Des weiteren kann es sehr massive Kindbettdepressionen geben, die dämonische Ausmaße annehmen können bis zur Gefahr der Kindstötung in Gedanken. Verzweiflung, Niedergeschlagenheit, Mutlosigkeit und Kraftlosigkeit, der „Babyblues“ eben, können auch im Rückblick nach der notwendigen Erholung in den ersten sechs Wochen traurig stimmen.

Die Geburt bringt nicht nur ein neues lebendiges Wesen hervor, sondern einher geht auch die Abstoßung von blutigem, alten, ausgedienten Toten, die sich über Wochen hinziehen kann und durchaus das Gefühl von Unreinheit hinterlässt. Es ist eine Folge des Sündenfalls, dass die Mitwirkung des Menschen am Schöpfungswerk Gottes auch toten Abfall produziert, ohne den das Leben nicht entstehen konnte. Ohne auf Details eingehen zu müssen, steckt offensichtlich in den Gebeten, die auch nicht in Details gehen und nichts begründen, sondern nur sehr allgemein umschreiben, mehr Weisheit, als der erste Blick und der erste Affekt gegen sie vermuten lässt. Diese Einsicht könnte vielleicht manchen Reformeifer etwas abkühlen. Welche Freude für die Mutter, nach 40 Tagen wieder genesen mit dem Kind und vielleicht auch der ganzen Familie zur Kirche zu kommen, um das Kind vorzustellen, sich segnen zu lassen und sich wieder einzugliedern in die Kirchengemeinde und eucharistische Gemeinschaft.

 


[1] Diese Übertragung von Psalm 50, 7 folgt der Ausgabe „Septuaginta Deutsch“, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2010 (dort leicht verändert: „Denn siehe, in Gesetzlosigkeiten bin ich empfangen worden, und in Sünden hat mich meine Mutter begehrt“). Das „Orthodoxe Gebetbuch“ des Klosters des Hl. Hiob von Pocaev, München 2010, übersetzt: „Denn siehe, in Unrecht bin ich empfangen, und in Sünden gebar mich meine Mutter“. Das griechische Ausgangswort in der Septuaginta für „begehrte“ bzw. „gebar“ lautet: έκίσσησέν. Es wird in jedem Fall bei Luther, der „empfangen“ verwendet, falsch übersetzt.

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