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Die neun Ebenen der himmlischen Pyramide
„So seid ihr also nicht mehr Fremde und Nichtbürger, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes, gebaut auf das Fundament der Apostel und Propheten, welches Jesus Christus Selbst als Eckstein hat, in dem der ganze Bau, zusammengefügt, heranwächst zu einem heiligen Tempel im Herrn, in dem auch ihr eingebaut werdet zur Wohnung Gottes im Geist“. (Eph. 2, 19 – 22).
EINFÜHRUNG
In uralter Zeit bauten die ägyptischen Pharaonen Pyramiden aus Stein. Einige von diesen Pyramiden waren fünfzig Meter hoch, andere hundert Meter, und einige auch höher als hundert Meter. Es gibt auch solche, welche zweimal höher sind als die Haghia Sophia in Konstantinopel, die erhabenste Kirche im orthodoxen Osten. Wahrlich, es ist ein Rätsel, wozu Pharaonen solche gigantischen Pyramiden bauten; übrigens ist alles im heidnischen Ägypten rätselhaft, alles Mythos, alles eine Vorahnung.
Am wahrscheinlichsten ist, dass die Pharaonen diese riesige Steinbauten errichteten, weil sie von ihrer Unsterblichkeit träumten. Sie träumten von der Unsterblichkeit des Leibes, obgleich sie von der Unsterblichkeit der Seele ahnten. Auf jeden Fall waren andere Motive solcher Bautätigkeit Eitelkeit und vor allem gegenseitige Konkurrenz. Jeder von ihnen wünschte sich mit einem solchen Denkmal zu verewigen, welches der Zeit zu widerstehen vermochte und stehen würde, solange die Welt steht. Im ägyptischen „Totenbuch“ wird die Prophetie eines künftigen Gerichtes des Gottes Osiris und der Unsterblichkeit des Menschen beschrieben, wenn auch dies alles durch unklare Vermutungen ausgedrückt und auf Vorahnungen gegründet wurde.
Die alte ägyptische Vermutung der Unsterblichkeit des Menschen wurde im Christentum als Realität offenbart. Erst im Christentum wurde die Vorstellung der Unsterblichkeit von den Verirrungen der Pharaonen gereinigt, geschieden von nebulösen heidnischen Visionen, phantastischen Rätseln und willkürlichen Mutmaßungen. Die Erkenntnis der Unsterblichkeit wird in der christlichen Epoche auf die Existenz des Einen Lebendigen Gottes gegründet und verbunden mit dem heiligenden Opfer Christi, mit Seiner Auferstehung und dem Sieg über den Tod.
Und auch das Christentum bewegte Menschen, zu seiner Zeit, „Pyramiden“ zu errichten. Es bewegte zu solcher Mühsal nicht nur Könige und herausragende Menschen, sondern auch alle übrigen, die an Christus glauben und Ihm nachfolgen, denn alle Christen wurden, nach dem Wort des Sehers des Geheimnisses, Könige genannt: „Ihm, der uns liebt und uns erlöst hat von unseren Sünden durch Sein Blut, uns gemacht hat zu Königen und zu Priestern vor Gott, Seinem Vater, Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht in die Ewigkeiten der Ewigkeiten. Amen“ ( Off. 1, 5 – 6).
Dementsprechend ist es Ehrenpflicht jedes Christen eine „Pyramide“ für sich selbst zu errichten. Demzufolge muss es so viele „Pyramiden“ geben, so viele Christen es auf der Welt gibt. Diese christlichen „Pyramiden“ sind viel höher als jede Pyramide der Pharaonen. Aber sie können keinesfalls mit dem üblichen Maß gemes-sen werden. Sie erheben sich höher als die Sonne und der Mond und das ganze materielle All. Sie erheben sich zu den Himmeln und können nur dort in ihrer Größe und Schönheit erblickt werden. Sie fürchten weder Zeit, noch Regen, noch Wind, noch Frost, noch Bomben, noch Granaten, noch irgendeine andere blinde, zerstöre¬rische Kraft. Die ganze Welt ist ohnmächtig vor diesen christlichen Pyramiden. Sie stehen jenseits von Zerstörung und jenseits des Todes. Ihnen wird Unsterblichkeit in einer Welt garantiert, wo man des Namens des Todes nicht gedenkt und der Stachel des Todes kraftlos wird.
Denn diese Pyramiden sind geistiger Art, jedoch viel realer, als alle materiellen Dinge. Sie sind auf geistigem Fundament gegründet, durch Geist erbaut, mit Geist verziert, durch Geist gefestigt und für das geistige Reich vorherbestimmt. Der Bedarf für diese Pyramiden und der Plan für ihre Errichtung wurde erklärt vom Herrn Selbst, Jesus Christus. Und Bauarbeiter sollen alle getauften Menschen sein, inspiriert durch allmächtige Mitwirkung des Heiligen Geistes.
Jede solche Pyramide verfügt über neun Grundebenen, und die zehnte Ebene ist ein Turm der Freude, mit dem der Herr Selbst das ganze Bauwerk krönt. Jede Ebene hat einige eigene, gesonderte Unterebenen und eine Vielzahl von Abteilungen. Alle höheren Ebenen stützen sich auf die, welche sich unter ihnen befinden, was natürlich auch bei der gewöhnlichen Bautätigkeit in dieser Welt der Fall ist. Und diese Pyramiden sind insgesamt derart schön und schlank, dass man von ihnen den Blick nicht wenden möchte.
Wie bekannt, bauten die Pharaonen ihre Pyramiden auf Sand, schafften Stein aus der Ferne heran. Die christlichen Pyramiden, die himmlischen Pyramiden, sind auf festestem Stein gegründet, und dieser Stein ist Christus, wovon der große Apostel so spricht: „Ihr seid also nicht mehr Fremde und Nichtbürger, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes, gebaut auf das Fundament der Apostel und Propheten, welches Jesus Christus Selbst als Eckstein hat, in dem der ganze Bau, zusammengefügt, heranwächst zu einem heiligen Tempel im Herrn, in dem auch ihr eingebaut werdet zur Wohnung Gottes im Geist“. (Eph. 2, 19 – 22).
Laßt uns folglich aufmerksam den wunderbaren Plan der himmlischen Pyramide betrachten, und eine Ebene nach der anderen kennen lernen.
ERSTE EBENE
Am nicht sehr steilen Ufer des blauen Sees Genezareth setzte sich der Göttliche Baumeister auf das grüne Gras und fing an, den Plan des neuen Gebäudes zu entwerfen. Er begann jedoch nicht, ihn auf Pergament zu zeichnen, sondern prägte ihn den Seelen Seiner Schüler ein durch Sein flammendes Wort, setzte gleichsam ein diamantenes Siegel auf das weiche Wachs menschlicher Seelen. Seine ersten Worte offenbaren, womit der Bau der himmlischen Pyra-mide beginnt und wie die erste Ebene gegründet wird.
Selig sind die Armen im Geist, denn ihrer ist das Himmelreich.
Nur diese Worte sprach der Göttliche Baumeister über die Grundlegung der ersten, sehr breiten und sehr festen Ebene, des Fundaments, welches das ganze übrige Bauwerk tragen soll. Und diese Worte sind für dich genug, o Christ, wenn du wahrlich die königliche Pyra-mide errichten möchtest, welche dir im Garten der Ewigkeit Freude bringt. Du weißt selbst: je tiefer im Grund das Fundament des Gebäudes liegt, desto sicherer der Bau. Unsere menschliche Armut ist sehr tief und verborgen, so dass viele ihren Grund nicht erreichen können. Aber gut für die, die als Arme gänzlich in die Tiefe gelangt sind.
Die Armut im Geiste ist nicht irgendeine Gabe, von außen gewährt, sondern ist der reale Zustand des Menschen, was nur erkannt werden muss. Und zur Erkenntnis unserer geistigen Armut gelangen wir durch strenge Selbstprüfung. Wer hierzu entschlossen ist, der erreicht das Verständnis der dreifaltigen Armut:
Erstens. Armut im Hinblick auf unsere Kenntnisse
Zweitens. Armut im Hinblick auf unsere Güte
Drittens. Armut im Hinblick auf unsere Taten
Armut ist die höchste Stufe der Bedürftigkeit. Wenn wir über die Möglichkeiten unseres Verstandes nachdenken, oder über unsere moralischen Qualitäten, oder über unsere Tätigkeit, werden wir überzeugt von unserer übergroßen Bedürftigkeit, geradezu von unserem Elend.
Der Mensch möchte sein Schicksal erfahren, möchte verstehen, wer er ist, woher er kommt und wie er sich benehmen soll, Fäden im Stoff des Leben verknüpfend. Jedoch er sieht, selbst wenn er der Gelehrteste ist, dass alle seine Kenntnisse im Vergleich mit seiner Unwissenheit wie ein Glas Wasser neben offenem Meer sich ausnehmen. Er möchte in Güte alle anderen Wesen in der Welt übertreffen, aber er sieht, wie er auf Schritt und Tritt in die schmutzige Pfütze der Bosheit und Härte fällt. Er möchte stets größte und grandioseste Taten vollbringen, aber sieht, dass er ohne Hilfe von außen nichts vermag. Auf solche Weise, wohin er auch schaut, überzeugt sich der Mensch von seinem Unvermögen und seiner Nichtigkeit.
Andere Menschen können ihm nicht helfen, denn sie sind auch nichtig und schwach, wie er selbst. Dann wendet sich der Mensch zu seinem Schöpfer, fällt vor Ihm nieder, übergibt sich Seinem Willen und schreit um Hilfe. Solches Bewusstsein eigenen Unvermögens und die Erkenntnis eigener völliger Nichtigkeit wird Armut im Geiste genannt. Und Armut im Geiste widerstrebt dem geistigen Stolz. Übrigens ist geistiger Stolz eine viel größere Nichtigkeit als Armut im Geiste. Eigene Nichtigkeit einzusehen und zu fühlen ist eine viel kleinere Nichtig-keit, als Stolz.
Denn Stolz ist nicht nur Unkenntnis, sondern auch Dummheit. Stolz ist die Mutter aller Dummheiten und aller bösen Taten des Menschen. Sich selbst erkennen, heißt eigenes Unvermögen und eigene Nichtigkeit einsehen können, danach zur Zerknirschung des Herzens zu gelangen, und schließlich zum Herrn um Gnade schreien, um Hilfe bitten.
Zerknirschung des Herzens, oder Demut, welche dem richtigen Verständnis eigenen Unver-mögens entströmt, ist Grundlage aller Tugenden, Grundlage des geistigen Lebens jedes ¬ Christen, Grundlage auch der himmlischen Pyramide. Einst stritt der böse Geist mit dem Heiligen Makarios und rief schließlich aus: „Alles vermag ich, Makarios, was auch du vermagst, nur in einem besiegst du mich – in der Demut!“. Von der Demut sprechen die heiligen Väter der Kirche so: „Die Demut hat keine Sprache, um Böses über andere zu reden, hat keine Augen, um fremdes Böses zu sehen, hat keine Ohren, um fremde Schmähung zu hören“ und „ Demut ist das Tor zu Gott“.
Wer verstanden hat, dass er in seiner Nichtigkeit ohne Gottes Hilfe nichts tun kann, der hat ein sicheres Fundament zum Grund seiner Himmelspyramide gelegt. Ohne Mich könnt ihr nichts tun (Joh. 15, 5), sprach der Herr. Bei jedem Schritt, am Morgen und bei Nacht, ist sich ein vernünftiger Mensch der Richtigkeit dieser Worte bewusst. Und diese Erkenntnis macht ihn groß vor Gott.
Wenn der Mensch vom bösem Wind des Stolzes befreit wird, dann tritt in seiner Seele Stille ein, und seine Seele betritt der Heilige Geist. Und wenn der Heilige Geist kommt und in der Seele einwohnt, erbaut Er die himmlische Pyramide ganz nach Seinem Sinn und Seinem Willen, nur im Angesicht des Menschen. O, mein Bruder im Christus, das Wichtigste ist, den Geist Gottes nicht zu hindern, Sich einzuwohnen und niederzulassen. Das Wichtigste ist, alles in dir zu verachten, was in dir von dir ist, und nicht von Gott, gleich wo, ob im Bereich des Wissens, des Gefühls oder des Wunsches.
Sprich’ nicht, Du Stolzer: „Wozu soll ich mich selbst erniedrigen und herabwürdigen!“ Niemand verlangt von dir, dass du dich selbst erniedrigst, aber du sollst nur anerkennen, dass du niedriger bist als Gott. Niemand verlangt von dir, dass du aus Dir eine Nichtswürdigkeit machst, nur anerkenne deine schon existentielle Nichtigkeit, was unstreitig ist. Und wenn du das, was wahrlich ist, anerkennst, und eingestehst, nur dann kannst du den ersten Stein in den Grund des Geistigen Baus deiner Seele legen. Hernach kannst du die ganze erste Ebene deiner Himmelspyramide voll errichten, die ganz so wird, als ob sie aus Eisen wäre: fest, wie Eisen, und erstrahlen in dunklem Glanz, wie Eisen.