(Ein Interview mit dem Priester André Sikoev von der russischen Zeitschrift „BERLINETZ“)
Frage: Vater André, Sie haben fast 20 Jahre neben Ihrem kirchlichen Amt als selbständiger Unternehmer gearbeitet, sie waren Vorstand und Aufsichtsratsvorsitzender eines großen Medienunternehmens. Ihre Kino-Dokumentarfilme, zuletzt „Unsere Erde“ (Earth) waren in der ganzen Welt erfolgreich, in den USA, Deutschland und Japan sogar auf Platz 1. Wie kam es zu diesem „Doppel“-Beruf?
AS: Leider müssen Priester der Russischen Orthodoxen Kirche auch in Deutschland noch einem weltlichen Beruf nachgehen: unsere Gemeinden war nimmer schon Flüchtlings-, Emigranten- oder Übersiedlergemeinden. Und nur in den großen Städten bzw. mit der Zeit können die russischen Gläubigen Ihre Priester versorgen. Innerhalb des Klerus gibt es Wissenschaftler, Bergleute, Ärzte aber auch Kaufleute und Angestellte. So war der einst älteste Priester in Deutschland, der inzwischen entschlafene Erzpriester Ambrosius Backhaus, über Jahrzehnte Chefarzt des Hamburger Hafens. Doch diese Situation ist natürlich auf Dauer nur schwer auszuhalten, die Belastung ist immens und unsere Diözesen arbeiten hart daran, die Lage der Priester in Deutschland zu verbessern – zum Nutzen der Gemeinden!
Frage: Welche ethischen Aspekte der christlichen orthodoxen Ethik erscheinen ihnen für Unternehmer und Manager von besonderer Bedeutung?
AC: Zuallererst müssen wir verstehen, daß die Arbeit, die angestrebten Erfolge wirtschaftlicher und finanzieller Natur, kein Selbstzweck sein dürfen. Die Arbeit ist nach der alttestamentlichen und somit auch christlichen-orthodoxen Tradition ein Kreuz. Und damit ein Heilmittel zur Wiedererlangung des Friedens mit Gott, der christlichen Tugenden der Liebe und des Gehorsams. Nur wenn der Mensch („Adam“) im Schweiße seines Angesichts sich müht und diese Mühe in Christus erträgt u n d dabei Seine Werke tut, wird er gerettet werden, mit anderen Worten: wird er wirklich glücklich leben.
Das bedeutet auch, dass nach dem ersten Gebot der Gottesliebe ein Unternehmer in verantwortlicher Position eine besondere Verantwortung für seinen Nächsten trägt, neben seiner Familie sind das seine Geschäftspartner aber vor allem seine Mitarbeiter und Untergebenen. Christliche Ethik wird vermittelt zuallererst durch das persönliche Vorbild und durch das Gebet für die anvertrauten Menschen. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Menschen Christen sind, Katholiken, Protestanten, Juden, Atheisten oder Moslems. Solange ein Mensch lebt, sind wir gefordert – wie Gott – alle Menschen zu lieben.
Frage: Wie kann eine solche Nächstenliebe im Angesichts eines immer härter werden Geschäftsalltags, inmitten von Finanzkrisen und den Folgen der Globalisierung praktisch aussehen?
AC: Zuallererst muss der Unternehmer – genau wie jeder andere berufstätige Christ – an seiner eigenen Vervollkommnung arbeiten. Ohne die Bewahrung der kirchlichen Mysterien kommt er nicht weit: Gebet und Fasten, Beichte und die Hl. Kommunion sind gleichsam die Pfeiler der persönlichen „Unternehmenskultur“. Zum zweiten gilt es die Ewigen Gesetze der Zehn Gebote zu schützen und zu bewahren, das versteht jeder. Und schließlich ist es außerordentlich wichtig, die christliche Sprach- und Kommunikationsregeln konsequent zu bewahren: „Deine Rede sei Ja, ja und Nein, nein“ ist eine davon. Wir müssen uns nicht nur hüten „Falsches Zeugnis“ abzulegen und „des Nächsten Hab und Gut“ zu stehlen, sondern auch aller übler Nachrede, Tratsch, Verurteilungen, Gemeinheiten und Spott den Riegel vorschieben. Mobbing z.B. darf nicht toleriert werden.
Frage: Vater André, für viele Unternehmer in Deutschland sind die hohen Steuern ein ständiges Ärgernis. Aber auch die wachsende Bürokratie und die mittelstandsfeindlichen Strukturen werden beklagt. Wie sieht die Orthodoxe Kirche dieses Problem?
AC: Wie Jesus Christus! Als die von der Römischen Kopfsteuer geplagten Juden Christus fragten, wie sie sich verhalten sollten, war seine Antwort eindeutig: „Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist“. Hier muß unsere Haltung ebenso konsequent sein. Denn Steuerehrlichkeit führt nicht nur zu einem ruhigen Gewissen vor Gott, sondern bewahrt auch vor persönlichen Rückschlägen und den strafrechtlichen Konsequenzen. Die optimale Steuergestaltung kann nur mit Hilfe erfahrener Steuerberater bewältigt werden. Hier an der falschen Stelle zu sparen kann nicht nur Ärger bereiten, sondern zu erheblichen Verlusten führen. Das gehört zum ABC eines jeden Betriebswirts.
Deutschland hat sich seit Jahren den Abbau der Bürokratie auf die Fahnen geschrieben. Und jede Bundesregierung seit Willy Brandt scheitert an dieser Aufgabe. Im Gegenteil! Es wird jedes Jahr schlimmer: der deutsche Föderalismus-Dschungel, die Verbeamtung des Öffentlichen Lebens, der Anteilswachstum verteilungsorientierter Politik, aber auch sinkende Geburtenzahlen, wachsende Arbeitslosigkeit und fehlender Verantwortungs- und Gemeinsinn sowie die anhaltende Führungslosigekeit im Kanzleramt tun da ihr Übriges. Im Wesentlichen erleben wir im Deutschland in meinen Augen seit Ende der 90er Jahre einen neuen Babylonischen Turmbau – nichts gelingt mehr! Ob dies durch die EU, die Euro-Einführung oder durch die politischen Sünden im Bundeskanzleramt noch verstärkt wurde, kann ich nur vermuten. Auf jeden Fall handelt es sich um ein geistiges Phänomen, das es zu beachten gilt.
Frage: Welche Funktion hat hier Ihrer Meinung nach die Orthodoxe Kirche in Deutschland?
AC: Die Rolle der Orthodoxen Kirche in Deutschland kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Zum einen betet die Kirche nicht nur für das „gottgesegnete russische Land“, sondern – in über 80 Kirchen in unzähligen Liturgien und Gottesdiensten – „für dieses Land, diese Stadt, die es regieren und beschützen“, also für Deutschland. Die Kirche betet für ihre Gläubigen und also auch für die russischen orthodoxen Unternehmer, Manager und Selbständigen. Viele Gläubige kommen und bestellen Fürbitt-Gottesdienste für das Gelingen eines guten Werkes. Ich selber habe wirkliche Wunder nach solchen Gottesdiensten erlebt – sei es zur Allerheiligsten Gottesmutter, zum Hl. Nikolaj oder zum Hl. Märtyrer Haralampij, um nur einige zu nennen.
Viele Menschen suchen Rat bei den Priestern, sowohl in pastoralen als auch in der Beichte. Nicht selten taucht zum Beispiel die Frage nach dem Umgang mit Schuldigern auf: was tun, wenn hohe Schulden nicht zurück gezahlt werden? Das deutsche Recht schützt hier den Gläubiger wie auch den Schuldiger gleichermaßen.
Frage: Und, was können Sie raten?
Ein orthodoxer Christ muss wissen, dass wenn er leiht, er bereit sein muss, auf die Rückgabe der Schuld zu verzichten. Eine Schuld kann sich zu jeder Zeit in ein – zugegeben- ungewolltes Geschenk verwandeln. Darüber müssen wir uns von Anfang an im Klaren sein! Wenn wir dies nicht können oder wollen, dann müssen wir dies ehrlich von Anfang an ansagen: Das Ja und das Nein sind von Gott gesetzte Anfänge der Sprache, des Logos. Alles was ethisch dazwischen liegt, birgt die Gefahr der Sünde, von Fehlern. Sowohl im zwischenmenschlichen Bereich als auch im unternehmerischen.