Zwischen Kinosessel und Kanzel

Kraft der Bilder: André Sikojev ist Priester der russisch orthodoxen Kirche in Berlin. Nebenbei produziert er aber auch sehr erfolgreich Filme

An Deck der Yacht wird André Sikojev heute abend sitzen. Das Boot wird im Hafen von Cannes sanft in den Wellen schaukeln. In der Hand sein Handy wird Sikojev mit seinen Gemeindemitgliedern in Berlin telefonieren. Er wird ihnen Trost zusprechen, er wird sie beraten, er wird für sie da sein.

Denn in der anderen Hälfte seines Lebens ist der Filmproduzent André Sikojev Priester der russisch-orthodoxen Kirche in Berlin.

André Sikojev wurde am 25. März 1961 in Moskau geboren. Seine Mutter Karin stammt aus Döbeln in Sachsen und war als Leistungsstudentin nach Moskau zum Studium der Agrarwissenschaften delegiert worden. Vater Juri, ein Ossete, stammte aus Sankt Petersburg, studierte an der Moskauer Bergbau-Akademie.

Im Sommer 1961 zog die Familie von Moskau nach Ostdeutschland und 1965 weiter nach Pankow in Berlin. Schon früh brach Sikojev mit der DDR, freundete sich mit Oppositionellen an, organisierte illegale Theateraufführungen, provozierte Schülerstreiks und rettete sich nur aufgrund eines sehr guten Abiturs vor der Schulrelegation.

Seinen zugesagten Medizin-Studienplatz verlor er 1981 nach seinem Grundwehrdienst in einem Strafregiment der NVA trotzdem.

“Ich habe wohl den Rekord an Fahnenflucht gebrochen”, sagt er heute und lacht. Und das obwohl er die Jahre bei der NVA als “Zeit des systematischen Terrors der Älteren gegen die Jüngeren” erlebt hat, wie er sagt. Er findet sogar, die Armee sei das Erziehungs- und Unterdrückungsinstrument per se in der DDR gewesen.

1984 schaffte er die Ausreise über die Ständige Vertretung der Bundesrepublik. Er studierte dann in Berlin und München Slawistik und orthodoxe Theologie.

1991 wurde er als Geistlicher der russisch-orthodoxen Kirche in München geweiht, wo er bis zum Jahr 2000 diente und beim Bau der ersten russischen Kathedralkirche nach dem Zweiten Weltkrieg mitwirkte. Er leitet heute die russisch-orthodoxe Berliner Gemeinde in Wilmersdorf. Seine Wirkungsstätte ist eine kleine Wohnzimmerkirche im Erdgeschoß eines Mehrfamilienhauses in der Kulmbacher Straße 6. Seit 50 Jahren ist dort eine Kirche. Nach dem Krieg war sie da provisorisch eingezogen.

Und geblieben. “Aber wir schauen nach Grundstücken und werden bald eine neue Kirche für 400 Gläubige bauen”, sagt Sikojev.

Doch vorerst haben Gemeindemitglieder erst mal den Altar renoviert. Nach seiner Schätzung gibt es 5000 bis 10 000 orthodoxe Russen in Berlin, die in die Kirche gehen. Zu Festen wie Ostern stehen die Gläubigen in der kleinen Kirche bis auf die Straße. Fast täglich hält er hier kleinere Gottesdienste, Taufen und Fürbittgottesdienste ab. Er pendelt zwischen der Kirche in Wilmersdorf, seiner Firma in Mitte und seiner Familie. Seine Frau ist Ikonenmalerin, gemeinsam haben sie zwei kleine Kinder.

Mit seiner Greenlight Media AG wiederum produziert er Filme – vor allem Naturfilme. Sein “Deep Blue” mit der Musik der Berliner Philharmoniker war der erfolgreichste Naturfilm 2004. Für deutsche Verhältnisse ist Greenlight auch keine typische Filmproduktion, für die der einheimische Markt am wichtigsten ist. “Wir sind auf Deutschland als Vorführungsort nicht angewiesen. Wir produzieren für den Weltmarkt”, sagt Sikojev selbstbewußt.

Greenlight Media hat Geschäftssitze in Berlin, München, Los Angeles und Kuala Lumpur.

“Planet Earth” ist da ein programmatischer Titel. In diesem Film folgt die Kamera dem Weg des Sonnenlichtes um die Erde.

Naturfilme seien für ihn “quasi religiöse Filme, die einen emotional-spirituellen Anschluß des einzelnen an die Schöpfung schaffen”, so der Priester und Produzent.

Ähnliches will er nun wieder versuchen. Darum hat er sich für Cannes eine Sieben-Tage-Woche mit Terminen im 90-Minuten-Rhythmus auferlegt – trotzdem will er seine Gemeinde nicht vernachlässigen. Mit dem Gegensatz von Priester und Produzent hat er kein Problem. “Für mich ist es eher anstrengend in einer Gesellschaft und Kultur, die durch und durch säkularisiert ist. Unsere Großeltern wußten noch, daß man am Freitag kein Fleisch ist und daß vor Ostern 40 Tage gefastet wird.”

In Rußland hingegen gibt es überall Fastenkarten in den Restaurants. Nicht nur deshalb fliegt er einmal im Monat nach Rußland. Es ist ein Land, das er liebt.

Sein Land. Obwohl er von der Staatsbürgerschaft her Deutscher ist und von den russischen Muttersprachlern seiner Gemeinde auch gern mal in der Grammatik verbessert wird. Er arbeitet am Aufbau des Therapiezentrums in Beslan für die Traumatisierten. Und wenn er kann, holt Sikojev Kranke für medizinische Behandlungen in die deutsche Hauptstadt.

Irgendwie paßt das alles nicht zum Bild des Produzenten, der – wie die Hollywoodgrößen – mondän auf seiner Yacht residiert.

Doch Sikojev hat eine ganz einfache Erklärung: “Man glaubt es kaum, aber die Yacht zu mieten, ist in Cannes billiger, als wenn wir Hotelzimmer genommen hätten. Das ist der einzige Grund.”

http://www.welt.de/print-wams/article127764/Zwischen_Kinosessel_und_Kanzel.html

 

 

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