Wir sind in Mitte. “Mitte ist nicht Ost und nicht West”, erfahre ich, “Mitte ist tatsächlich das neue Berlin”. Der Mann, der das sagt, weiß, wovon er spricht, denn er wuchs in Pankow auf und wohnt in Wilmersdorf. André Sikojev ist ein großer Mann mit gewaltigen Händen, einem kurzen grauen Bart und hellen Augen. Er sieht aus wie ein Bass auf der Opernbühne, ein Sarastro.
Sikojev drehte mit seiner Firma Greenlight und in Kooperation mit der BBC den Kino-Hit “Deep Blue”. Sie erinnern sich: Der Ocean-Unter-Wasser-Streifen. Der war 2004 der erfolgreichste deutsche Film im Ausland. Dieses Jahr folgt mit “Earth” das Pendant an Land.
Diese Superlative erwähne ich nur nebenbei. Eigentlich geht es mir darum, Ihnen den Erfinder von Simsalagrimm vorzustellen. Und das ist auch André Sikojev. Für alle Erwachsenen ohne Kinder: Simsalagrimm ist die Zeichentrick-Version der Grimmschen Märchen und läuft seit 1999.
Simsalagrimm wurde zum erfolgreichsten Kinder-Serienformat in der Geschichte der ARD und zum größten deutschen TV-Export aller Zeiten (noch vor Derrick, verkauft in mehr als 120 Länder).
Was weltweit Hunderte Millionen von Kindern sehen, das wird in der Gormannstraße 22 (Mitte) erdacht. Auf wenigen Etagen eines alten Hauses, in sehr gepflegten Büros, in denen ganz normale Menschen vor ganz normalen Bildschirmen sitzen. Sikojev zeigt sie mir beiläufig.
“Kinder brauchen keine Gewalt und keine Hässlichkeit”
Und etwa so fing alles an:
Es war 1993. André Sikojev sieht “am Rande einer privaten Küchenrenovierung” um 17 Uhr “eine Art Softporno” im (Privat-) Fernsehen. Der stattliche Mann, eigentlich gar nicht prüde, “fiel nach hinten um”. Auf einem anderen Kanal lief Power Rangers. “Ich bin auf den Hinterhöfen Berlins aufgewachsen, ich kenne das Leben. Aber diese Gewalt, die hat mich völlig entsetzt.”
Sikojev blickt ernst und uneitel vor sich hin. Er hatte damals keine eigenen Kinder, aber er unterrichtete Kinder in Religion. Kinder, das wusste er, brauchen “keine Gewalt” und “keine Hässlichkeit”. Er suchte nach Inhalten aus dem deutschen Kulturgut und Simsalagrimm war geboren. Bei der ARD hielt man ihn zunächst für verrückt. Dann wollte Bertelsmann ihm plötzlich die Rechte für einen “zweistelligen Millionenbetrag” abkaufen. Sikojev lehnte ab und sein Erfolg begann (1999).
Ein Erfolg auch für die Bildung: Heute kennen laut Umfragen rund 90 Prozent der deutschen Kinder zehn bis 20 deutsche Märchen. Anfang der 90er Jahre kannten nur noch zehn Prozent der Kinder mehr als zwei Märchen. Grimm in Berlin zu produzieren, findet Sikojev, “passt gut”. Denn schließlich flohen die Dichter-Brüder einst aus Hessen nach Berlin und setzten hier ihre germanistischen Studien fort. Die Grimms liegen auf dem St. Matthäus-Kirchhof (Schöneberg) begraben.
Eine Kirche im Parterre
Wir sind durch die ganze Stadt gefahren und landen in der Kulmbacher Straße 6 (Wilmersdorf). Hier feiert die älteste russisch-orthodoxe Gemeinde Deutschlands ihre Gottesdienste. Die Wohnung im Parterre rechts ist ihre Kirche, Sikojev ist der Priester. Er hat sich das geistliche Gewand umgehängt, küsst das Kreuz und zeigt uns die Ikonen. Kurz öffnet er den heiligen Raum mit dem Altar.
Hier ist die Quelle, dieser Beruf ist ihm das Wichtigste im Leben. Aus seinem Christen-Glauben erwuchs der Wille, gewaltfreie Kinderfilme und Natur-Filme für Familien zu produzieren. “Es geht mir um die Verantwortung des Menschen gegenüber der Schöpfung, die eine Gabe Gottes ist.”
Deshalb spielen im kommenden Kino-Film “Earth” (4500 Drehtage, 47 Millionen US-Dollar Budget) Tiere in den Heldenrollen. Damit Kinder sie schätzen lernen. “Denn man kann”, sinniert Sikojev, “sich nur für das verantwortlich fühlen, was man schätzt und liebt. Lernen wir, die Natur zu lieben. Liebe ist die stärkste Beziehung, die es gibt.”