Der junge Geweihte. Zum Gedenktag des Hl. Sergius von Radonesch

Deutschsprachige Übersetzung aus dem Buch von Erzbischof Nikon Roschdestwenskij „Leben und Kämpfe unseres ehrwürdigen und gotttragenden Vaters Sergij, des Abtes von Radonesch und Wundertäters von ganz Russland“, Gesellschaft zum Gedenken der Äbtissin Taisija, St. Petersburg, 2014

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Der junge Geweihte

Mann des geistigen Verstandes. – Abt Mitrophan. – Mönchsweihe im Kirchlein der Einöde. – Zeichen der Gnade Gottes. – Erster und letzter Mönch. – Abschiedsgespräch des jungen Mönchs mit dem geistigen Vater. – Sergij der Gottweise.

(1342)

Freue dich, der du deine Jugend der Übung der Keuschheit weihtest.
Freue dich, der du dich, gleich einer reinen Magd,
Christus, dem Bräutigam, verlobt hast!
Akathistos 2, Ikos 2

5-2„Alle Taten von Warfolomej, während seines ganzen Lebens“, sagt Metropolit Platon, „bezeugen, dass er ein Mann hohen Verstandes und geistigen Unterscheidungsvermögens war“. Die Fähigkeit zur Unterscheidung ist eine unschätzbare Gabe, und die heiligen Väter achten sie höher als alle Tugenden. Nach den Worten des ehrwürdigen Johannes Klimakos (Übersetzung des Mönchs Georgios Makedos) wird Unterscheidung „dafür gehalten, das zuverlässige Erfassen des göttlichen Willens zu jeder Zeit, an jedem Ort und in jeder Sache zu sein, was gewöhnlich nur den Reinen im Herzen, in Leib und im Mund zu eigen ist“. „Aus dem Gehorsam entsteht Demut, und aus der Demut entsteht die Gabe der Unterscheidung“ , nach strenger Askese und vollkommenem Abschneiden des eigenen Willens und Verstandes. Umso verwunderungswürdiger ist es, dass Warfolomej mit dieser Gabe schon von Jugend an begnadet wurde: So rein war sein Herz, so demütig und einfach war seine schöne Seele!

„Bei den Anfängern führt das Unterscheidungsvermögen zur wahren Erkenntnis ihrer selbst“, sagt Klimakos . Bei seiner Selbstprüfung trat diese geistige Gabe auch bei dem jungen Warfolomej hervor. So sehr er sich auch mit dem Engelsgewand zu bekleiden wünschte, beeilte er sich doch nicht bei der Erfüllung seines Herzenswunsches. Er hielt es für ganz unbegründet, sich an das Mönchsgelübde zu binden, bevor er nicht an die strenge Erfüllung aller Regeln des Mönchslebens gewöhnt war, an all die Mühen und Kämpfe nicht nur des fleischlichen, sondern auch des inneren, geistigen Tuns. Erst als er sich in all dem hinreichend geprüft hatte, fing er an, den Herrn anzuflehen, dass er ihn doch der so lange ersehnten Engelsgestalt würdigen möge.

In einem der Klöster in der Nähe von Radonesch, vielleicht sogar im gleichen Chotkow-Kloster, lebte ein demütiger Starez, ein Abt namens Mitrofan. Es ist unbekannt, wann Warfolomej ihm geistig nahe kam; möglicherweise ereignete sich das noch bevor er in die Einöde ging. Es ist sogar möglich, dass Mitrofan zuweilen Warfolomej in der Einsamkeit seiner Einöde besuchte, um für ihn die Göttliche Liturgie in seinem Kirchlein zu zelebrieren – sein seliger Vitenschreiber sagt nichts Näheres darüber . Er schreibt nur, dass der junge Asket Mitrofan bat, zu ihm in die Einsiedelei zu kommen, und über dessen Besuch war er überaus froh. Er empfing den Abt wie einen besonders teuren Gast, von Gott Selbst gesandt, und flehte ihn an von Herzen, doch einige Zeit bei ihm im seinem Kellion zu weilen. Gern stimmte der gute Starez dem zu, und Warfolomej, mit Ehrfurcht auf dessen tugendhaftes Leben blickend, hing sich an ihn mit ganzer Seele, wie an einen leiblichen Vater.

Es verging einige Zeit, und der selige Jüngling verneigte demütig sein Haupt vor dem Starzen und fing an ihn um die Mönchsweihe zu bitten. „Vater“, so sprach Warfolomej, „erweise Liebe um Gottes willen; führe mich ein in die Mönchsordnung; ich liebte diese Ordnung von Jugend an, und schon seit geraumer Zeit wünschte ich, als Mönch eingekleidet zu werden. Nur der Wille meiner Eltern hielt mich lange davon ab, aber jetzt bin ich, Gott sei Dank, von allem frei, und wie der Hirsch nach den Wasserquellen dürstet, so dürste ich mit ganzer Seele nach dem Leben des Einsiedlers als Mönch“.

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Am 7. Oktober des Jahres 1342, im ärmlichen Kirchlein des Einsiedlers, wurde die Mönchsweihe des 23-jährigen Jünglings vollzogen, und Warfolomej wurde der Name Sergij gegeben. Seite 65

5-4Starez Mitrofan wollte diesem frommen Wunsch nicht widersprechen; er eilte sogleich in sein Kloster, nahm einige der Brüder mit und alles, was für die Mönchsweihe nötig war, und kehrte zurück zum Einsiedler. Am 7. Oktober des Jahres 1342 wurde im ärmlichen Kirchlein des Einsiedlers die Mönchsweihe des 23-jährigen Jünglings vollzogen. Die Heilige Kirche feiert an diesem Tag das Gedenken der heiligen Märtyrer Sergios und Bacchos: Also wurde nach dem Brauch der damaligen Zeit Warfolomej der Name Sergij gegeben.

Nach der Mönchsweihe zelebrierte Mitrofan die Göttliche Liturgie und reichte dem neuen Mönch die Mysterien der Heiligen Gaben Christi.

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Und der Neugeweihte wurde erfüllt mit der Gnade des Heiligen Geistes, und durch die Kirche begann ein unaussprechlicher Wohlgeruch zu wehen, und sogar rund um die Einsiedlerkirche verbreitete sich dieser wunderbare Wohlgeruch… So erzählten hierüber die Zeugen dieses Wunders, und verherrlichten Gott, Der Seine Heiligen verherrlicht.

„Und Sergij war der erste Mönch seines einsamen Klosters, der Erste im Vorhaben und der Letzte im Klügeln, der Erste der Zahl nach, und der Letzte bei jenen geduldigen Mühen, welche er sich selbst auferlegte; man kann sogar sagen, dass er auch Erster und gleichzeitig Letzter war, weil nämlich, obschon viele nach ihm die Mönchsweihe in derselben Kirche empfingen, dennoch keiner an das Maß seiner geistigen Reife heranreichte. Viele begannen zwar derart den Kampf, aber bei weitem nicht alle beendeten ihn in gleicher Weise; viele Jünger hatte Sergij, viele gute Mönche kämpften auch nach ihm in seinem Kloster, aber niemand konnte sich mit ihm vergleichen: Für alle und für immer blieb er das Vorbild der Vollkommenheit eines Mönchs! – Mit der Scherung legte er nicht nur sein Haupthaar ab, sondern für immer beschnitt er mit der Wegnahme der Haare auch all sein Begehren; indem er sich der weltlichen Gewänder entledigte, entkleidete er zugleich auch den alten Menschen, um einen neuen anzuziehen, der in Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit wandelt; seine Lenden gürtend, bereitete er sich zum mannhaften geistigen Kampf; verzichtend auf alles Weltliche, flog er empor, in seiner Jugend erneuert wie ein Adler, zur Höhe geistiger Betrachtungen“.

So gedachte seines großen Lehrers dessen würdiger Schüler, der ehrwürdige Epifanij; und wer könnte ein besseres und getreueres Urteil abgeben über die Kämpfe seines geliebten Abba?

Sieben Tage und Nächte verbrachte der neu geschorene Sergij in seinem Kirchlein, ohne es zu verlassen; jeden Tag zelebrierte der Starez als Abt die Göttliche Liturgie und spendete ihm die Heiligen Mysterien Christi, und alle die sieben Tage aß er nichts außer der Prosphore, welche ihm der Priester reichte. Um seinen Geist wach und unzerstreut zu bewahren, enthielt sich Sergij jeglichen Werks. Stets waren in seinem Munde Psalmen und geistige Gesänge. Sich derart tröstend, verherrlichte er Gott und rief zu Ihm aus der Tiefe seines dankbaren Herzens: Herr, ich liebe die Pracht Deines Hauses, und den Ort, wo Deine Herrlichkeit wohnt (Ps. 25, 8). Deinem Hause gebührt Heiligung, Herr, für die Länge der Tage (Ps. 92, 5). Wie lieblich sind Deine Zelte, Herr der Mächte! Es verlangt und vergeht meine Seele nach den Höfen des Herrn, mein Herz und mein Fleisch, sie jubelten über den lebendigen Gott. Ja, der Spatz – meine Seele – fand für sich ein Haus, und die Turteltaube ein Nest für sich, wohin sie ihre Jungen legt… Selig, die in Deinem Hause wohnen, in alle Ewigkeiten werden sie Dich loben (Ps. 83, 2,3,4,5). Denn besser ist ein Tag in Deinen Höfen als sonst tausend. Lieber wählte ich mir, beiseite geworfen zu werden im Haus meines Gottes als zu wohnen in den Zelten der Sünder. (Ps. 83, 11). – So frohlockte damals die Seele von Sergij, in Göttlichem Feuer entbrannt!
Die Welt weiß nicht und kann nicht wissen, welche gnadenvollen Tröstungen von Gott denen herabgesandt werden, die sich um das Heil der Seele mühen. Die Welt sieht nur die Härte und Enge des Pfades eines Mönchs, und, da sie sich nicht verabschieden möchte von ihrer breiten Straße, wendet sie sich ab vom asketischen Kampf und nennt ihn nutzlos, unvernünftig, sogar verbrecherische Selbstquälerei. Werden wir also nicht mit ihr darüber sprechen, was für sie nicht leicht begreiflich ist: Es ist unnütz einem Blinden von der Schönheit der Blumen zu erzählen; wenn nur die Welt wenigstens aufmerksamer die Früchte der asketischen Kämpfe betrachtete, dann würde sie deren große Kraft im sittlichen Leben erkennen und aufhören, sie nutzlose Übungen zu nennen. „O ihr“, so rief einst der Metropolit von Moskau, Platon, aus, „o ihr, deren Gedanke verfinstert und deren Herz erschlafft ist! Kommt und schaut auf den gottgefälligen, Ehrwürdigen Sergij! Was denn? Hat er sich etwa umsonst so viel abgemüht im Kampf um Tugend? Waren vergeblich jene Tränen, diese Schweißtropfen, welche er vergoss und mit ihnen den Göttlichen Samen tränkte, in seiner Seele eingepflanzt? O nein! Seht doch, so viele Jahrhunderte sind vergangen, und sein Name ist immer noch teuer in unserem Munde, und sein Gedächtnis gesegnet und die Spuren seines heiligen Lebens der Ehre wert“… Warum? Weil unter Mitwirkung der Gnade Gottes seine Kämpfe seine ganze sittliche Natur verklärten, und ihm die ursprüngliche Reinheit und Unschuld zurück erstatteten, die ewige Seligkeit und die hohe gottähnliche Würde – all das, was dem ersten Adam verlorenging, und für uns alle erkauft wurde durch das unschätzbare Blut des zweiten Adam, des Herrn Jesus!

Die sieben Tage flossen dahin wie ein Tag; es kam die Zeit für Sergij, Abschied zu nehmen vom Abt, dem Starzen.

– „Siehe Vater“, sagte alsdann mit leichter Wehmut der junge Mönch zu seinem geistigen Vater: „Du gehst bereits und lässt mich allein in dieser menschenleeren Einöde. Lange wünschte ich einsam zu leben und erbat dies stets vom Herrn, eingedenk der Worte des Propheten: „Siehe, weit in die Ferne wollte ich fliehen und in der Wüste wohnen“ (Ps. 53, 8). Und gesegnet sei Gott, Der mein Gebet nicht unerfüllt ließ; ich danke für Seine Güte, so er mir diese Gunst nicht entzog: In der Einöde leben und schweigen. Du gehst nun fort von hier, Vater: Segne doch mich Gott Ergebenen und bete über meiner Einsamkeit. Gib mir Einblick: Wie soll ich jetzt leben in der Abgeschiedenheit, wie zum Herrgott beten, wie seelischem Schaden entfliehen, wie dem Feind widerstehen, den von ihm eingesäten Gedanken des Stolzes? Ich bin doch ein gerade neu geschorener Mönch, und in allem muss ich bei Dir um Rat bitten!“

Der Starez bewunderte die fromme Demut des neu Geweihten: „Befragst du etwa mich Sünder darüber, was du doch selbst besser weißt als ich, du teure Seele!“ sprach Mitrofan. „Du bist schon derart erfahren in jedem Kampf; mir bleibt nur zu wünschen, dass der Herr Selbst dich geistlich belehrt und dich zum vollkommenen Maß geistiger Reife führt“.

5-6Der Starez beredete mit ihm noch eine Weile verschiedene Fälle des geistigen Lebens und begab sich auf den Weg. Sergij fiel zu seinen Füßen nieder und bat abermals zum Abschied um Segen und Gebet für ihn: „Bete, bete, Vater“, sagte er, „dass der Herr mir Kräfte schicken möge, den Anfechtungen des Fleisches und den dämonischen Versuchungen zu widerstehen, dass Er mich auch vor wilden Tieren bewahren möge, inmitten meiner Mühen in dieser Einöde“

„Gesegnet sei Gott“, sprach zu ihm der Starez, und – man hörte festen Glauben in seinen Worten – „Er wird ja nicht zulassen, dass wir über unsere Kräfte versucht werden; für uns alle spricht der Apostel: Alles vermag ich durch Den, Der mich mächtig macht, den Herrn Jesus (Phil. 4, 13). Ich gehe fort und übergebe dich der Hand Gottes; Gott wird dir Zuflucht und Kraftquell sein. Er wird dir helfen, den feindlichen Ränken zu widerstehen. Gott liebt jene, die Ihm wohl gefallen, Er beschützt auch deinen Eingang von nun an bis in Ewigkeit“.

Zum Schluss seiner Rede sagte Mitrofan zu Sergij, dass am Ort seines Einsiedlerlebens der Herr dereinst ein großes und berühmtes Kloster errichten wird, von welchem sich der Ruhm des Namens Gottes weit in alle Himmelsrichtungen ausbreiten wird – Danach sprach Mitrofan ein kurzes Gebet, segnete seinen Neugeweihten, und ging von dannen.

Und Sergij blieb allein in seiner geliebten Einöde, blieb ohne Wegbereiter und Mitkämpfer, ohne Lehrer und ohne Helfer, einzig mit Gott dem Allgegenwärtigen zusammen, Der niemals jene verlässt, die alles für Ihn verließen. Rein und hell war seine gute Seele, einfach und offen für die Gnade Gottes, und Gott Selbst führte, durch verborgene Eingebungen Seiner Gnade, den jungen Asketen in den Kampf mit den Versuchungen, welche, nach dem Göttlichen Heilsplan unserer Rettung, selbst für die reinsten Seelen unumgänglich sind. Und wahrlich wurde Sergij ein Gottweiser Mann, wie ihn die heilige Kirche nennt: Als er den Weg der alten heiligen Wüstenväter beschritt, der Urväter des Lebens der Mönche, wurde er gleich ihnen nicht so sehr von Menschen belehrt, sondern von Gott Selbst, und, nachdem er reich geworden an diesen himmlischen Schätzen göttlicher Weisheit, führte er später auch andere zur Rettung.

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