Militärhospital Kiew: ein Priester erzählt

Ich nehme bewusst meinen 14-jährigen Sohn in die Intensivstation, er liest Gebete, ich zeige ihm jeden Verwundeten und sage: „Das ist ein Held der Ukraine, er liegt hier, damit ich und du am Leben bleiben“. Erzpriester Oleg Sknar, 21. Februar 2014

Über das, was im zentralen Krankenhaus des Militärs von Kiew vor sich geht, erzählt in einem Exklusiv-Kommentar der Vorsteher der Kirche des Hospitals, geweiht dem Schutz der Gottesmutter, der Erzpriester Oleg Sknar.

Erzpriester Oleg Sknar

Momentan gibt es in Kiew ein wenig Stillstand, er dauert an seit der Mitte des gestrigen Tages. Vorher fuhren gleichzeitig bis zu zwölf Sanitätswagen heran. Die Ärzte bewältigten kaum die Ankommenden und in der Bezirksabteilung entstand eine sehr schwierige Situation. Aber heute ist die Situation schon ruhiger. Mir ist gelungen, sehr viele Verwundete zu besuchen. Einer von ihnen war Michael, im Koma, er hatte eine Kugel im Kopf. Bis jetzt wurde noch keine Entscheidung getroffen, ob operieren oder nicht, denn wenn die Kugel herausgeholt wird, könnten Blutungen einsetzen. Dieses Problem besteht nun schon drei Tage. Er ist in einem sehr ernsten Zustand. Es gibt junge Leute, bei denen fehlt die Hälfte des Gesichts. Viele kamen bereits zu sich, nach der Operation. Jetzt müssen wir mit solchen Leuten reden, sie beruhigen. 86 Menschen befinden sich bei uns, zwei von ihnen starben leider, einer im Notarztwagen, der zweite, ein Offizier, starb auf dem Operationstisch.

Das Militärkrankenhaus befindet sich unweit des Epizentrums der Kampfhandlungen. Schießereien sind nicht zu hören. Es gibt örtliche Steinschlachten, aber danach zu urteilen, dass am heutigen Morgen kein einziger Unfallwagen hereinkam, trat wohl eine Pause ein. Außerdem gibt es Erste Hilfe am Ort der Ereignisse. 800 Meter von uns entfernt befindet sich das 17. Bezirksrankenhaus, wo sich eine große Anzahl von Autos versammelt, da kommen Angehörige angefahren. Doch schon haben wir nicht mehr so viele Transporte von Verwundeten wie noch vor vierundzwanzig Stunden. Das war ein echter Krieg.

Gestern rief ich dazu auf, Blut zu spenden. Das Krankenhaus des Ministeriums der Verteidigung bietet allen Opfern der miteinander Kämpfenden Hilfe an, aber der größere Prozentsatz der Verwundeten besteht aus Kräften der Polizei, auch aus Offizieren und den Männern des „Berkut“ (d.h. Königsadler). Bezüglich des Aufrufs zur Blutspende war die Reaktion sehr gut. In unserem Krankenhaus gibt es 21 klinische Einrichtungen und 61 Abteilungen, Fachabteilungen, welche sich mit Verwundungen befassen, so die Neurochirurgie (Kopfverletzungen), die Kiefern- und die Gesichtschirurgie, die Chirurgie für Eiterungen, die Traumatologie. Aber auf eine solche Anzahl von Bettplätzen sind diese vier Abteilungen nicht zugeschnitten. Gestern gab es ein Problem mit Plasma, so war ich gezwungen, mich an die Web-Seiten der Kirchen zu wenden, damit Leute Blut spenden. Ein großes Plus haben wir dadurch, dass es auf dem Territorium des Krankenhauses eine eigene Blutspende-Zentrale gibt. Nach der Blutabgabe werden die Tests gemacht und in ein paar Stunden schon steht das Blut für Operationen zur Verfügung. Sehr viele Orthodoxe leisteten dem Aufruf Folge. Bis jetzt kommen Anrufe.

Es muss angemerkt werden, dass wir im Militär-Krankenhaus ein eigenes Ernährungszentrum haben. Es gewährleistet die Versorgung der im Hospital Liegenden, und die Ärzte vom 4-tägigen Bereitschaftsdienst brauchen nicht nachhause zu gehen. Die Kranken werden ernährt, aber die Ärzte haben keine Zeit, Tee zu trinken, denn fortlaufend werden Verwundete eingeliefert. In der Empfangsstation organisieren Mitglieder unserer Gemeinde einen Tisch für die Ärzte. Ich weiß nicht, was in den Bezirkskrankenhäusern passiert, aber hier, in der soliden Heilanstalt, ist alles gut organisiert, jeder ist mit seiner Aufgabe befasst.

Menschen bieten ihre Hilfe an: „Wir sind bereit, Böden zu scheuern, Verwundete zu pflegen“. Doch die Besonderheit unserer Institution erlaubt uns nicht, sogar in gewöhnlichen Krankenzimmern, Freiwillige einzusetzen ohne Genehmigung der Militärleitung, und die Leitung lässt bewusst niemand in die Abteilung durch, damit kein Chaos entsteht. Doch es gibt den Wunsch bei den Menschen, zu helfen, das ist die Hauptsache. Zum Glück haben wir einen Personalbestand von 965 Krankenschwestern. Ihre Kräfte reichen aus. Dass die Menschen derart auf den Ruf nach Hilfe antworten, ist ein positives Charakteristikum unserer Bevölkerung. Die Menschen schauen nicht apathisch ins Fernsehen, was als nächstes passieren wird.

Im 17. Bezirkskrankenhaus hilft den Verwundeten Vater Vladimir Kostotschka, im Alexander-Krankenhaus Vater Roman. Er verfügt über ein großes Personal barmherziger Schwestern. In unserer Zeit hat jedes Krankenhaus eine Kirche und einen Priester.

Die Fürsorge der Priester besteht in der Unterstützung der Soldaten, der Offiziere, ihrer Angehörigen. Erste Aufgabe ist, den plötzlichen Kummer zu lindern, welchen jede Mutter und Ehefrau empfindet, wenn ihr Sohn oder Mann auf dem Operationstisch liegt. Zweite Aufgabe ist, die Verwundeten in einen normalen Geisteszustand zurückzuführen. Gestern verließ ich den Operationssaal um 11 Uhr abends, nach einem Gespräch mit jungen Leuten, die auf der Intensivstation erwachten und nicht verstanden, wie sie dorthin geraten sind. Einer der Kranken fragte: „Warum behandeln sie mich nicht?“ Ich sagte: „Du weißt nicht, wie du hierher geraten bist. Ich erzähle dir, was ich sehe – auf deinem Gesicht ist ärztliche Fürsorge zu bemerken, sie haben genäht und einen Verband angelegt“. Moralisch kann ich eine bestimmte Schmerzgrenze nicht überschreiten und sagen, dass er kein Auge mehr hat, es sogar unmöglich sein wird in Zukunft, in die Augenhöhle eine Prothese einzusetzen, weil kein Gewebe vorhanden ist. Unsere Aufgabe ist, zu erzählen, dass für ihn gesorgt wird, damit er zu sich kommt.

Kirche Schutz der Gottesmutter beim Militärhospital

In den ersten Stunden, wenn ein Mensch aus der Narkose erwacht, versteht er nicht, was vorgefallen ist. Großenteils sind es junge Leute von der Inneren Sicherheit oder Offiziere des Ministeriums für Inneres (aus dem Krankenhaus des Innenministeriums werden auch Kranke zu uns gebracht, mit denen sie dort nicht zurechtkommen).

Ich nehme bewusst meinen 14-jährigen Sohn in die Intensivstation, er liest Gebete, ich zeige ihm jeden Verwundeten und sage: „Das ist ein Held der Ukraine, er liegt hier, damit ich und du am Leben bleiben“.Als ich so spreche, weinen viele der Leidenden. Für jeden ist wichtig, zu spüren, dass er nicht umsonst gelitten hat.

Unsere Grundaufgabe ist, zu erklären, dass jeder eine heroische Tat vollbrachte, dass er nicht zurückwich angesichts der Gefahr. Um welche Gefahr es sich handelte, das ist eine andere Frage, aber die Leute blieben standhaft, getreu dem Eid, den sie irgendwann leisteten. Es gibt keine Panik. Fassungslosigkeit gibt es unter den Angehörigen der Opfer. Aber bei den Soldaten gibt es keine Panik. Das Wichtigste ist, darzulegen, dass es Sinn hatte, was sie taten. Wenn wir all dem Sinn verleihen, dann wird es leichter, zu überstehen.

aufgeschrieben von Anna Utkina

Quelle: pravmir.ru

übersetzt aus dem Russischen: von peter u. trappe

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