Mönche fallen nicht vom Mond

Erzbischof Mark (Arndt)

 

Am 28./29 Januar 2014 fand im Moskauer Sretensky-Kloster eine Konferenz statt zum Thema „Die monastische Tradition: von der Antike bis zur Gegenwart“. Sie wurde durchgeführt im Rahmen der 22. Weihnachtlichen Lesungen. In der Aula des Sretensky-Priesterseminars versammelten sich mehr als 150 Teilnehmer aus Russland, Griechenland, Georgien, Serbien, USA, Großbritannien, und vom Heiligen Berg Athos. Eindrücke von der Arbeit der Konferenz übermittelte der Höchstgeweihte Erzbischof Mark von Berlin und Deutschland und Großbritannien (ROKA).

Bild: Erzbischof von Berlin und Deutschland und Großbritannien Mark (Arndt)

Auf der Konferenz wurde mehr über Prinzipien und Ideale des Mönchtums gesprochen, als über die reale Situation. Natürlich war es ein Versuch, auch die Fragen zum gegenwärtigen Zustand zu erörtern.

Aus Äußerungen einiger Teilnehmer war deutlich der Schmerz zu verspüren über das, was in Klöstern gegenwärtig vor sich geht. Ich denke, im Grunde ist das verbunden mit der Lage in Russland selbst, welche ich nicht so gut kenne, weshalb ich keine objektive Einschätzung geben kann. Aber aus dem, was ich von ihnen verstand, lässt sich entnehmen, dass es bei einigen Teilnehmer der Konferenz ein „Gejammer“ gab, welches darauf hinauslief, dass jetzt Leute ins Kloster kommen, die in der modernen russischen Gesellschaft großgezogen wurden. Und dies bedeutet, dass bei ihnen die Kontinuität fehlt, dass sie die Tradition verloren und keine Wurzeln haben. Wir können das bei Gläubigen beobachten, die in den Westen kommen: ein spürbarer Mangel des förderlichen Umfelds, in welchem das Mönchstum und das Christentum überhaupt in den vergangenen Jahrhunderten aufwuchs.

Eine Sache ist, wenn die Eltern Gläubige waren und, die ganze Umgebung auf natürliche Weise nach diesem Vorbild geformt wird, und eine ganz andere Sache ist es, wenn der Mensch aus einer ungläubigen Familie und einer vergleichbaren Gesellschaft hervorgeht. Für einen solchen Menschen ist alles neu, und es gibt keinen Anker, an welchem er sich festhalten könnte. Dies ist sehr auffällig draußen in der Welt, und dies definiert den heutigen Zustand des Mönchtums in Russland.

Einer der Bischöfe äußerte sich sehr schroff, und stellte fest, dass Klöster existieren, in welchen die Mehrheit der Mönche aus ehemaligen Häftlingen und Drogenabhängigen besteht. Das ist natürlich nicht überall so, aber die Tatsache eines solchen Elements liegt vor, und erschwert auf selbstverständliche Weise das ganze Mönchsleben. Das bedeutet natürlich nicht, dass solche Leute nicht Mönche werden sollen, im Gegenteil, sie können sogar vorbildliche Mönche werden. Wir kennen die Beispiele von Räubern, die zu Heiligen wurden. Vieles im System ist verdorben, aber das heißt nicht, dass der einzelne Mensch sich nicht von ihm losreißen kann.

Aus den Worten der Anwesenden konnte man ebenso schlussfolgern, dass es jetzt viele Menschen gibt, die in die Klöster kommen und diese sogleich wieder verlassen. Das heißt, die Leute schlagen keine Wurzel, weil viele verkrüppelt sind durch das Erbe der gottlosen Vergangenheit.

Dies ist ein negatives Moment im Leben eines beliebigen Klosters, wenn es an Prinzipien mangelt, wenn nicht wenigstens eine wenn auch nur kleine Bruder- oder Schwesternschaft existiert, die eine Grundlage schafft, welche erlaubt, Wurzeln zu schlagen. Darum schwankt und wankt auch alles Übrige. Das ist eine sehr gefährliche Situation. Andererseits kann ich keine Heilbehandlung offerieren, denn ich verstehe, dass dies eine natürliche Folge jener Periode gottloser Macht ist, welche Russland durchlebte. Und obgleich sie dem äußeren Anschein nach zum Ende kam, dauert sie im Inneren noch an.

Im dem Maße, wie diese Welt und Gesellschaft krank sind, so werden auch die Mönche für bestimmte Zeit krank.

Nach meiner Ansicht ist einer der ernstesten Fragen für die russischen Klöster, wie dieses schreckliche Erbe, welches sich widerspiegelt in allen Einwohnern des Landes, getilgt werden kann. Es ist wie eine Seuche, welche ausgerottet werden muss. Aber wie das angegangen werden kann, das ist die Frage. Mir ist klar, dass es notwendig ist, dies zu tun, aber die Wege der Heilung sind vorerst unklar. Krank ist die Gesamtgesellschaft, als Ganzes, nicht nur das Mönchstum, wo es sich jedoch am stärksten spiegelt und bemerkbar macht. Denn die Mönche sind Produkte ihrer Gesellschaft, die nicht vom Mond fallen, sondern aus der zeitgenössischen Welt stammen. In dem Maße, wie diese Welt und Gesellschaft krank sind, so werden auch die Mönche für bestimmte Zeit krank. Klöster sind Heilstätten, dazu berufen, die Menschen, die in sie eintreten, zu behandeln. In welchem Maße die Klöster in der Lage sein werden, zu behandeln, das ist eine Frage der Kräfte des Geistes. Im Maße, wie im Kloster der Heilige Geist wohnen wird, so wird dieses „Obdach“ fähig sein, Menschen zu behandeln.

Gleichzeitig wird Arznei und Gift verordnet – und das wirkt sich auf jeden Mensch aus.

Was übrigens jene Krankheit angeht, welche in der Gesellschaft virulent ist, so weise ich oft darauf hin, dass wir bis zum heutigen Tag in Russland den Götzen-Standbildern der Vergangenheit begegnen, den Mördern und Verfolgern der Kirche. Bis jetzt wird der Rote (eigentlich Schöne) Platz durch eine Leiche vergiftet, die dort liegt. Und das kann nicht ohne Einfluss bleiben auf die Leute. Verstehen Sie, wenn sie mich auf eine Straße führen, welche den Namen eines Mörders trägt, dann nimmt das Einfluss auf mich. Ich möchte auf einer solchen Straße nicht gehen. All das ist eine große anti-geistige Last, welche über dem Land hängt, und es von innen her vergiftet. Für mich ist es eine große Freude, dass die Kinder, wenn sie durch die Stadt spazieren, goldene Kuppeln sehen können, aber andererseits können sie auch das völlige Gegenteil wahrnehmen. Die Benennung der Straße, auf welcher sie gehen, vergiftet sie. Wie kann das zusammengehen? Gleichzeitig wird Arznei und Gift verordnet, und das wirkt sich auf jeden Mensch aus. Ich bin manchmal gezwungen, an meine Mitbrüder, die Bischöfe, Briefe mit ähnlichen Adressen abzusenden, aber ich bringe es nicht über mich, das zu tun. Gott sei Dank, in Deutschland wird das ausgerottet: kein einziger Platz oder eine Straße trägt den Namen Hitlers. Zensur ist nötig, Abgrenzung von solchem Irrsinn und der schrecklichen Zeit der Verfolgung. Und in Russland umgekehrt: jeden Tag werden Verfolger verherrlicht. Darum sind die Leute, die ins Kloster eintreten, krank.

Im Westen sind die Leute vergiftet vom Individualismus

Im Westen sind die Leute gleichfalls vergiftet, aber sie leiden an einer anderen Krankheit, am Individualismus, an der Isoliertheit voneinander. Für sie ist es schwierig, mit einem anderen Menschen in einer Zelle zu leben, mehr noch, es ist fast schon unmöglich. Vorrangig ist nötig, sich vom schrecklichen Erbe der Vergangenheit zu reinigen. Ich will niemand belehren oder Vorwürfe machen, umgekehrt, das sage ich mit Schmerz. Und nach der Erfahrung Deutschlands, wo das in der Wurzel ausgerottet wurde, ist mir klar, dass in Russland noch bevorsteht, solches zu tun. Und bedauerlicherweise bestehen sogar Funktionäre der Kirche vorläufig darauf nicht, und das bedrückt mich.

Ein anderer Schmerz, von welchem ich nicht erst in diesem Jahr höre und welcher bei der Begegnung der Mönche im Rahmen der Weihnachtslesungen herausgestellt wurde, ist jener, dass viele den äußeren Angelegenheiten große Aufmerksamkeit schenken, zum Nachteil jedoch des inneren Tuns und Gebets. Gottesdienst und Zellengebet beanspruchen nicht in allen Klöstern den Platz, welcher ihnen rechtens zusteht.

Für viele trat an die erste Stelle der äußere Aufbau des Klosterlebens

Wiederum geschieht dies infolge der schweren Erbes der Vergangenheit: die Mönche sind gezwungen, die Klosterbauten zu renovieren, die Kirchen, das, was zerstört wurde. Und all das verschlingt eine riesige Menge an Energie und Kraft bei denen, die ins Kloster eintreten, von den Äbten bis hin zu den Arbeitskräften. Ich hüte mich davor, zu urteilen (ich lebte nicht in solchen Klöstern), aber aus einzelnen Beobachtungen entsteht der Eindruck, dass viele, sowohl Äbte wie auch Mönche, auf solches Geleise geraten, wenn sie aufhören, die Wichtigkeit des Gebets zu erkennen, oder darüber nur träumen, und nicht verstehen, wie man die täglichen Sorgen mit wahrem klösterlichen Tun verbinden kann. Auch das ist auf gewisse Art ein Resultat der Krankheit der heutigen Gesellschaft.

Auch in früheren Zeiten wurde ständig gebaut und renoviert, aber an erster Stelle stand immer das Gebet

Mir scheint, dass in den letzten zwanzig Jahren für viele an die erste Stelle der äußere Aufbau des Klosterlebens trat. Ich kann nur vermuten, dass dies aus dem Wunsch heraus geschieht, schnelle Früchte zu ernten, beim Bau von Kirchen und Unterkünften für Mönche. Dabei geht aber leider, oh weh, die Fähigkeit oder die Bestrebung zum konzentrierten, kontemplativen Teil des klösterlichen Lebens verloren. Auch in früheren Zeiten wurden ständig Kirchen und Klöster gebaut, aber an erster Stelle stand immer das Gebet.

Wir müssen dafür beten, dass wir dieses Stadium der Entwicklung der

russischen Klöster überwinden, und wieder vollkommen eingenommen werden für das althergebrachte klösterliche Tun.

Mit Erzbischof Mark (Arndt) sprach Kristina Poljakova

3. Februar 2014

(Übersetzt aus dem Russischen: peter u. trappe)

 

Quelle: www.pravoslavie.de

 

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