ERKLÄRUNG DER DEUTSCHEN DIÖZESE DER RUSSISCHEN AUSLANDSKIRCHE “FÜR DEN FRIEDEN DER KIRCHEN. FÜR VERGEBUNG UND RECHT”.

Berlin, München – 21.08.2012

Am 21. Februar 2012 kam es in der Christus-Erlöser-Kirche in Moskau – der symbolträchtigsten Kathedrale der Russischen Orthodoxen Kirche – zu einem Bruch des Hausfriedens und der Kirchenordnung durch eine Punk-Gruppe (“P… Riot”). Dort und im danach eigens erstellten Videoclip kam es zu blasphemischen Äußerungen in der dieser Gruppe eigenen Fäkalsprache, gegen die Vertreter der ROK (als „Sch…, Sch…, Sch… des Herrn“) allgemein und des Oberhaupts der ROK Patriarch Kyrill (“Hure”) im Besonderen, auch erfolgte die Verspottung der christlichen Gläubigen in ihrer Gänze (“Kriecher”). Dies alles geschah mit dem Rücken zum Altar vor der Ikonostase der Kathedralkirche auf dem Ambo der Kirche, dem zentralen Ort der liturgischen kirchlichen, pastoralen und festlichen Abläufe des orthodoxen Gottesdienstes.

Die Täter und Täterinnen bezeichneten ihre Aktion nicht nur als politischen Protest, sondern auch als “Punk-Gebet” und “Kunst-Aktion”, womit sie sich einreihen in frühere provokative Aktionen, die den Glauben der orthodoxen Christen zur Zielscheibe machen. Die anschließende Verhaftung und Aburteilung eines Teils der Täter/innen sowie das Strafmaß führten zu zahlreichen Protesten und Stellungnahmen. Schlagartig war die Gruppe weltberühmt.

Unsere Auffassung ist: Jeder russische Bürger hat heute, wie auch wir in Deutschland, das Recht und den Anspruch auf den staatlichen Schutz freier und ungestörter Religionsausübung.

Bedauerlicherweise jedoch hörten wir in den vielfachen Äußerungen über diese PR-Aktion auf Kosten der Kirche – darunter Künstler, Abgeordnete, Minister und sogar die deutsche Bundeskanzlerin – kein Wort des Mitgefühls, geschweige denn einer Solidarität mit den Gläubigen Russlands bzw. der Moskauer Kirchengemeinde der Christi-Erlöser-Kirche. Die historische Dimension wurde – wie selbstverständlich – ignoriert. Im 20. Jahrhundert hat das gläubige russische Volk zunächst die Verspottung seines Glaubens mit vergleichbarer Zielrichtung erlebt und alsbald auch die Entweihung und Zerstörung zehntausender seiner Kirchen (56.000 auf ca. 100) und Klöster (1200 auf Null) durchlitten, und zwar in der größten Christenverfolgung aller Zeiten mit über 1 Mio Märtyrer (Bischöfe, Priester, Mönche, Nonnen, Laien, Männer, Frauen und Kinder). Das für die Aktion ausgewählte Gotteshaus war 1931 gesprengt und abgetragen worden (Fotos: www.xxc.ru/destruct). Wiedererbaut wurde es und 2000 eingeweiht mit der Verherrlichung der Neumärtyrer Russlands. So ist es ein Symbol des Schmerzes von Golgatha und der Freude der Auferstehung.

Wir bezweifeln, dass belehrende Forderungen nach “Freiheit der Kunst” mit derselben Einseitigkeit und Kritiklosigkeit verlautbart würden, wenn Randalierer z. B. in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, oder in der Berliner Synagoge eine “Sch… Hymne” unter Beschimpfung des Staates Israel bzw. in der Kölner Moschee mit Verhöhnung religiöser Führer des Islam und Nachäffung von Gebetsgesten singen würden, oder einen vergleichbaren Tanz – sei es in Plötzensee (20. Juli), sei es auf den Gräbern der Mitglieder der „Weißen Rose“ – aufführen würden.

Wir russisch-orthodoxen Christen in Deutschland haben eine andere Perspektive: Am 5. Februar 2012 wurde in unserer Kathedralkirche in München unser Gemeinde­mitglied Alexander Schmorell in die Schar der Neumärtyrer aufgenommen. Unsere Diözese besteht überwiegend aus deutschen Staatsbürgern und für uns ist es beschämend zu konstatieren, dass in Deutschland die Bedeutung der Christi-Erlöser-Kirche als Gedächtniskirche missachtet wurde.

Indes, sie ist es im Ursprung für die Abertausenden Gefallenen der Befreiungskriege gegen Napoleon und somit für das deutsch-russische Bündnis beider Völker in ihrer Sehnsucht nach Freiheit und Selbst­bestimmung. Im Jahre 2012 hätte das 200-jährige Gedächtnis des gemeinsamen Freiheitskampfes deutscher, österreichischer und russischer Soldaten sowie zahlreicher anderer Nationen, wohl den wahrenden Respekt nicht nur der russischen Staatsmacht, sondern auch deutscher Abgeordneter und Minister verdient.

Bei dem gezielten Eindringen in den Raum christlicher Tradition handelt es keineswegs um „Kunst“ und noch weniger um “Gebet”, vielmehr um ein schweres charakterliches, soziales und geistiges Fehlverhalten, um eine Verletzung des Gastrechts, um die Störung des Kirchenfriedens, die Verleumdung bzw. Beschimpfung der orthodoxen Gläubigen, der Priester und des Patriarchen. Bei dieser Demonstration von Hohn der orthodoxen Gebetstradition gegenüber, kam es im Kirchenraum ebenso zur Verwendung von Schimpfworten im Zusammenhang mit den Namen Christi unseres Herrn und der Gottesmutter, was vom Oberhaupt der ROK als Blasphemie qualifiziert wurde.

Das oben beschriebene Spektakel geschah in Fortsetzung früherer öffentlicher sodomitischer und pornographischer Aktionen derselben Personen der Gruppe in der Öffentlichkeit (Kaufhaus und Museum). Das Lied war bereits in einer anderen Moskauer Kathedrale unter Einsatz von E-Gitarren gesungen worden – ein Auszug der Aufzeichnung wurde in das spätere Reklame-Video integriert. Die Aktionen wurden zunächst toleriert, blieben ungeahndet, und daraufhin folgte die Eskalation. Ähnlich respektlos gingen Sympathisanten der PR-Gruppe in den letzten Tagen und Wochen in Berlin, Wien, Kopenhagen und Helsinki vor; entblößte Frauen fällten in einer „Solidaritätsaktion“ in Kiew per Motorsäge das Gedächtniskreuz für die Opfer des Stalinismus und verhöhnten danach Christi Kreuzigung. All das zeigt, welcher Geist hier am Werk ist.

Der Oberste Kirchenrat der Russischen Orthodoxen Kirche in Moskau hat am 18.8.2012 erklärt, dass eine “juristische Bewertung des Vorfalls außerhalb der Zuständigkeit der kirchlichen Obrigkeit liegt. Die Festlegung des Umfangs von Vorbeugungs- und Strafmaßnahmen fällt in die ausschließliche Kompetenz des weltlichen Gerichts.” Dies gilt in Russland wie in Deutschland. Die Kirche hat keinerlei Machtmittel, um die Recht­sprechung zu beeinflussen und strebt auch nicht danach, solche zu erhalten. Ebenso betrachten wir das Vorgefallene nicht vom juristischen oder ästhetischen Standpunkt. Kritik – berechtigte wie unberechtigte – muss in entsprechenden Grenzen erfolgen, und es sollte bekannt sein, dass in nahezu allen westeuropäischen Staaten sowohl die Verunglimpfung nationaler Symbole, als auch der Bruch des Kirchenfriedens, der kirchlichen Hausordnung oder des religiösen Friedens unter Strafe steht, und so z. B. in Deutschland jeder, der „an einem Ort, der dem Gottesdienst einer solchen Religionsgesellschaft gewidmet ist, beschimpfenden Unfug verübt,“ mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden kann (§ 167 vgl. §166 StGB).

Die pastorale Pflicht der Kirche ist es, eine geistige und moralische Einschätzung dessen abzugeben, was vorgefallen ist. Die Orthodoxe Kirche unterscheidet im Geiste des Evangeliums klar zwischen der Sünde und dem Sünder. Der orthodoxe Christ ist aufgerufen zu vergeben, wenn er zum Opfer einer Verfehlung wird, während die Sünde selbst einer Verurteilung bedarf (auch um dessen willen, der sündigt), und zwar ganz gleich, ob diese Sünde geistig-ethischen oder physischen Charakters ist. Das trifft auch für jedwede Form der Gotteslästerung zu.

Deshalb verurteilen wir derartige Handlungen, die den Kirchenfrieden stören. Wir dürfen von jedem legitimen und demokratischen Rechtsstaat den Schutz des Kirchenfriedens und des Religionsfriedens erwarten. Gleichzeitig können wir im Hinblick auf die zu erwartende Revision um eine Milderung des Strafmaßes bitten.

In unseren Kirchen beten wir stets für das “Russische Land, seine Gläubigen, die dort und allerorten leben, für unser deutsches Land, die es regieren und beschützen“ sowie für den “Wohlbestand der heiligen Kirchen Gottes” und „für alle, die hier mit Glauben, Gottesfurcht und Frömmigkeit ein- und ausgehen.“

21.08.2012

 

Erzpriester Nikolai Artemoff

Diözesansekretär der Deutschen Diözese

Russische Orthodoxe Kirche im Ausland

(Russisch-Orthodoxe Diözese des orthodoxen Bischofs von Berlin und Deutschland – Körperschaft des öffentlichen Rechts)

Priester André Sikojev

Beauftragter am Sitz der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages

(Russisch-Orthodoxe Diözese des orthodoxen Bischofs von Berlin und Deutschland – Körperschaft des öffentlichen Rechts)

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